Artefakt
Spannweite von fast fünfzehn Metern, und ihre hohlen Knochen waren außerordentlich stabil. Die horizontalen Balken oben und an den Seiten trugen Segel, noch zusammengerollt und fest verschnürt. Im Innern der Gerüste, an den Stangen und Holmen befestigt, hingen große und kleine Nutzlastbeutel, einige von ihnen mit eigenen Segeln ausgestattet. Die Entfernung war ziemlich groß, und Rahil musste sich mit seinen gewöhnlichen, unverstärkten Sinnen begnügen, aber er glaubte zu erkennen, dass bereits Tausende von Passagieren an Bord gingen. Die meisten von ihnen schritten über Rampen, aber die besonders Mutigen kletterten Strickleitern Dutzende von Metern hoch und suchten sich einen bequemen Platz in den Netzen und Beuteln. Unten steckten die langen Ausleger und zum Teil auch die Verstrebungen zwischen ihnen tief im Staub, den der Wind in trägen Wogen wie die Wellen eines Meeres an die Kais und Piere schwappen ließ. Sie empfingen Auftrieb gebendes Gas aus Tanks, hauptsächlich Helium. Daran erinnere ich mich, dachte Rahil, während er mit weichen Knien auf dem Podium stand, sich an einer Geländerstange festhielt und aufkommender Wind an seinem Krankenkittel zerrte. Ihm war kalt, aber er achtete nicht darauf, ebenso wenig auf die Regentropfen, die nun in kürzeren Abständen kamen; ein besonders großer klatschte ihm mitten auf die Stirn. Daran erinnere ich mich, dachte er erneut. Aber was geschieht mit dem Staub der Großen Leere, wenn es stärker regnet? Versickert das Wasser darin? Oder wird ein Brei daraus, der die Ausleger der Schiffe hemmt? Bestimmt hatte er sich vor seinem ersten Einsatz auf Heraklon auch mit diesen Dingen beschäftigt, aber warum sollte er sich solche Informationen einprägen, wenn man sie ganz einfach in den externen Gedächtnismodulen einer Rüstung ablegen konnte?
Was würde geschehen, wenn die Schiffe mit Tausenden von Flüchtlingen im Staub stecken blieben, der sich durch Regen in Schlamm verwandelte? Und wenn der Sturm sie erreichte?
Ein weiterer Gedanke tauchte in Rahil auf: Mein Weg führt nicht nach Jadoo am Westufer der Großen Grauen Leere, sondern nach Norden, nach Munraha und zum Artefakt.
Er drehte sich halb um, ohne die Hände von der Geländerstange zu lösen.
Oberhalb des Flüchtlingslagers rollte ein Zug über eine von insgesamt drei am Hang angelegten Trassen: eine schier endlose Schlange aus rumpelnden, schwankenden Waggons, gezogen von zwei stählernen Ungetümen, die wie Metall gewordene Ochsen oder Büffel schnauften und keuchten und dabei Wolken aus dichtem grauweißen Dampf gen Himmel bliesen. Lokomotiven, erinnerte sich Rahil, der solche Apparaturen in historischen Aufzeichnungen gesehen hatte. Angetrieben von Kesseln, in denen Feuer Wasser erhitzte. Mobile Dampfmaschinen.
Der Wind wurde stärker, riss die Dampfwolken aus den Schornsteinen der beiden Lokomotiven und trieb sie den vielen Menschen entgegen, die aus den Waggons kletterten, kaum dass der Zug angehalten hatte.
Das Podium wackelte so heftig, dass Rahil fast das Gleichgewicht verloren hätte. Oder waren es seine Beine, die ihn nicht mehr tragen wollten? Dann sah er eine Bewegung aus dem Augenwinkel und drehte den Kopf.
Jemand kletterte zu ihm hoch.
Es war ein junger Mann von zierlicher Gestalt, mit dünnen Armen und langen, schmalen Händen, gekleidet nicht in einen Patientenkittel, sondern eine weite braune Hose und eine graue Hemdjacke. Auf den ersten Blick wirkten die Sachen normal, aber wenn man genauer hinsah … Die Regentropfen perlten an dem Stoff ab, schienen ihn gar nicht richtig zu berühren.
Rahil lächelte. »Sammaccan!«, sagte er erfreut und fühlte sich gleichzeitig ein wenig schuldig. Seit seinem Erwachen hatte er weder an den Polymorphen noch die anderen Männer und Frauen gedacht, die an Bord des Shuttles gewesen waren.
Der junge Mann erwiderte das Lächeln, öffnete den Mund und zischte wie ein Reptil.
»Warte.« Rahil griff in die Tasche des Kittels, holte den Interpreter hervor, den er seinem Vater abgenommen hatte, und schaltete das kleine Gerät ein, in der Hoffnung, dass es nicht der Interdiktion unterlag.
»Wenn dieses Ding nicht funktioniert, müssen wir irgendwie mit Gestensprache zurechtkommen, Sammaccan«, sagte er.
Das Gerät blieb stumm. Die kleine Maschinenintelligenz, mit der es ausgestattet war, konnte entweder nicht feststellen, an wen sich die Worte richteten – oder sie schlief den Schlaf der Interdiktion.
Sammaccan zischte erneut, und eine Stimme kam
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