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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brandhorst
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wollte ihn stützen, aber Coltan stieß seine Hand beiseite.
    »Er ist mein Sohn«, fügte Coltan hinzu. »Wir sind Missionare im Dienst der Ägide, mit der Untersuchung des Artefakts beauftragt.«
    »Oh«, sagte die Volontärin. Ihr Blick ging einige Male zwischen den beiden Männern in Krankenkitteln hin und her.
    »Es lässt sich leicht beweisen«, sagte Coltan. »Sie brauchen nur unseren genetischen Code zu untersuchen.«
    Der Stift in Lonoras Hand summte. »Er trägt ebenfalls Femtomaschinen.« Sie ließ den Signaturleser sinken. »Sie haben ihn einen Delinquenten genannt«, wandte sie sich an Rahil. »Was hat er sich zuschulden kommen lassen?«
    Mit den zerebralen Schaltkreisen der Rüstung und aktiven Femtomaschinen wäre es ihm leichtgefallen, sich eine plausible Geschichte einfallen zu lassen. Rahil hatte das Gefühl, dass sein Gehirn noch immer nicht richtig funktionierte, was an den Nachwirkungen der Verletzungen liegen mochte, die er sich beim Absturz zugezogen hatte, oder vielleicht daran, dass die höhere Schwerkraft von Heraklon ihm die zurückgekehrte Kraft aussaugte. Sein Vater stützte sich an der Tür ab, weil er seinen zitternden Beinen nicht traute, und Rahil sehnte sich nach einem Stuhl.
    Er entschied sich für die Wahrheit, eingebettet in eine Lüge. »Es gibt kaum ein Verbrechen, das er nicht begangen hat. Er ist tatsächlich mein Vater, aber er gehört zu denen, die das Chaos im Lagoni-System und auf Heraklon verursacht haben, weil sie das Artefakt in die Hände bekommen wollen. Seine Femtomaschinen sind illegal. Er kommt von einer Gefallenen Welt. Darf ich vorstellen? Coltan Jaqiello Tennerit, autokratischer Herrscher des Dutzends. Inzwischen bist du doch zum Regenten über Cambronne und seine Monde aufgestiegen, Vater, oder?«
    Ein oder zwei Sekunden herrschte Stille.
    Dann fragte der junge Mann, der Rahils Vater gestützt hatte: »Alles in Ordnung, Lonora? Brauchst du Hilfe?«
    In diesem Augenblick kam ein lauter Pfiff von draußen, gefolgt von einem lang anhaltenden Schnaufen. Die Volontärin sah aus dem Fenster. »Die Leute dort draußen brauchen Hilfe, Felton. Es kommt schon wieder ein Zug mit Flüchtlingen.« Sie ging zur Tür und drehte sich noch einmal um. »Wer immer Sie auch sind …«, sagte Lonora, und ihre Worte galten sowohl Rahil als auch seinem Vater. »Sie haben doppeltes Glück. Sie haben den Absturz überlebt, und Sie sind bei uns gelandet, im wahrsten Sinne des Wortes. Im Grunde genommen ist es mir gleich, wer Sie sind. Felton, die anderen und ich … Oh, wir sind hier hergekommen, um zu helfen, nicht, um Fragen zu stellen. Heute Abend brechen die Schiffe auf, und wir nehmen Sie mit. Morgen Nachmittag erreichen wir Jadoo, wenn alles gutgeht, und dort bringen wir Sie und die anderen Flüchtlinge an Bord eines der Evakuierungsschiffe. Bis dahin erwarte ich von Ihnen, dass Sie hier nicht noch mehr Unruhe stiften, klar?«
    Lonora gesellte sich den Leuten im Flur hinzu, die offenbar alle nach draußen strebten. Rahil wollte das Zimmer ebenfalls verlassen, aber Coltan versperrte ihm den Weg. In dem Krankenkittel bot er einen seltsamen, fast komischen Anblick. »Wir müssen nach Norden, mein Sohn. Verstehst du? Wir müssen zum Artefakt. Wir beide …« Er wollte Rahil die Hand auf die Schulter legen, aber der stieß sie beiseite.
    »Das Blatt hat sich gewendet«, sagte Rahil mit der Kühle, die sein Vater ihm gegenüber so oft an den Tag gelegt hatte. »Du wirst dich umgewöhnen müssen. Hier gibst du keine Befehle.«
    Draußen war das Chaos schier atemberaubend. Zigtausende von Menschen strömten wie eine lebende Flut durch die Straßen und Gassen des Flüchtlingslagers, das sich kilometerweit über die Hänge der Berge erstreckte, die das Staubmeer auf allen Seiten umschlossen – im Westen, Norden und Süden verschwanden ihre graubraunen Felsrücken im Dunst, aus dem immer wieder große, schwere Regentropfen fielen. Rahil kletterte trotz schmerzender Muskeln auf ein wackliges Podium neben dem Eingang des Hospitals, in dem er erwacht war; von dort aus hatte er einen besseren Blick.
    Dunstschwaden hingen über der pastellfarbenen Stadt, grau wie das Staubmeer der Großen Leere. Im Hafen, halb verschleiert, ragten die Gerüste der sechs Schiffe auf, die Rahil bereits aus dem Fenster gesehen hatte: Stangen und Bögen aus Leichtmetall und den Knochen der Ora-Ori, die in den Savannen südlich der Wälder von Cimeno heimisch waren – die Flügel jener Vögel erreichten eine

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