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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brandhorst
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»offiziellen« Entdeckung des Artefakts auf Heraklon davon gewusst, und dieser Jemand hatte das Wissen Unbefugten zugänglich gemacht. Wer kam infrage? Wer verfügte in dieser Hinsicht über mindestens ebenso gute Möglichkeiten wie die Ägide?
    Die Antwort lag auf der Hand: die Hohen Mächte.
    Doch das ergab überhaupt keinen Sinn. Warum sollten die Hohen Mächte die Segler vor etwa zweihundert Jahren von dem Artefakt auf Heraklon informiert haben, damit sie bei Quebal eine Flotte zusammenstellten und sich im relativistischen Flug auf den Weg machten, um gerade jetzt im Lagoni-System einzutreffen, vergleichsweise kurze Zeit nach dem Erwachen des Artefakts?
    Hier lauerten weitere Fragen, die mindestens ebenso wichtig waren, und eine von ihnen lautete: Was hatte das Artefakt vor einem knappen Jahr aus seinem Schlaf geweckt?
    Rahil erinnerte sich an seine Begegnung mit dem Gesserat, einem Evaluator des Gremiums, das darüber befinden sollte, ob die Menschheit bereit war, in den Kreis der Hohen Mächte auf genommen zu werden, oder ob man ihr zumindest Zugang zur Kosmischen Enzyklopädie gestatten durfte. Jar Enhelian Gavira Enei Cropcor’al’Tentero az Halgewi, genannt Zacharias, hatte sich nicht auf die Rolle des neutralen Beobachters beschränkt, sondern aktiv in das Geschehen eingegriffen, an einer bestimmten Stelle. Er hatte Rahil geholfen. Warum? Und der Fremde, den sein Vater mit »Exzellenz« angesprochen hatte … Auch Coltan Jaqiello Tennerit verfügte seit vielen Jahren über einen Helfer. Allem Anschein nach reichte jene Hilfe bis zu seinem Ururgroßvater Jere Laureno zurück, und das waren wie viele Jahre? Mindestens zweihundert, eher mehr als weniger. Aus Coltans Andeutungen ging hervor, dass Jere Laureno schon damals – noch vor der Entdeckung des Artefakts – Dinge in die Wege geleitet hatte, die Heraklon betrafen. Er musste Informationen erhalten haben, und wieder kamen dafür nur die Hohen Mächte infrage.
    Rahil drehte den Kopf und stellte fest, dass sein Vater ihn beobachtete. »Woran denkst du, mein Sohn?«
    Genau in diesem Augenblick kippte die Lokomotive.
    Rahil verlor das Gleichgewicht, fiel und rutschte über den Boden, der offenen Tür auf der anderen Seite des Führerhauses entgegen, gefolgt von Kohle und stinkenden Dungbrocken. Instinktiv streckte er die Arme aus, bekam etwas zu fassen und klammerte sich daran fest. Es war ein Hebel, und es schien ein wichtiger zu sein, denn Sammaccan quiekte erschrocken und zerrte ihn in die ursprüngliche Position zurück, was Rahil Gelegenheit gab, woanders Halt zu finden und sich von der Tür wegzuziehen, durch die schmutziges braunes Wasser hereinschwappte.
    Für einen Augenblick hing alles in der Schwebe, nicht nur die schwere, wie erschrocken schnaufende Lokomotive auf dem schiefen, vom Regenwasser unterspülten Gleisbett, sondern das Schicksal einer ganzen Welt. Rahil hing da, zwischen der offenen Tür und den Hebeln, die Sammaccan betätigte wie jemand, der virtuos ein ganz besonderes Instrument spielte, und seltsamerweise hatte er das Gefühl, nur die richtigen Gedanken denken zu müssen, um alles in Ordnung zu bringen, um nicht nur die Lok aufzurichten, sondern auch Heraklon, um alles ins Lot zu bringen.
    Ein Klappern und Rasseln kam aus dem vorderen Teil der Lokomotive, als verlagerten sich dort Gewichte. Dampf entwich pfeifend aus Ventilen und vermischte sich mit dem Dunst, der wie eine faserige Decke über den zu Seen gewordenen Sümpfen hing. Die Lokomotive keuchte und richtete sich wieder auf, als hätte sie einen Schwächeanfall überwunden und neue Kraft gefunden. Sammaccan schwankte und taumelte, als die Gefahr vorüber war. Rahil kam auf die Beine, stützte seinen Assistenten und führte ihn zu der Ecke, in der immer noch, wie von einer unsichtbaren Hand festgehalten, der Schemel stand. Er ließ Sammaccan darauf hinabsinken.
    »Ruh dich aus, mein Freund«, sagte er. »Du hast genug getan. Ich steuere die Lok. Ich habe dir zugesehen und weiß Bescheid.« Hoffentlich, fügte er in Gedanken hinzu.
    »Die nächste Verteilerstation«, brachte Sammaccan erschöpft hervor. Weitere Schuppen hatten sich auf seiner Stirn gebildet, und die Augen veränderten sich. »Wir müssen dort die Trasse wechseln, um nach Lautaret zu fahren.«
    »Ich wecke dich«, versprach Rahil. »Schlaf.«
    Sammaccan schloss die Augen und sackte in sich zusammen. Rahil drehte sich um und beobachtete, wie Coltan etwas von seinem Handrücken löste, das nach einem

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