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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brandhorst
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Lokomotive schwoll an, und der Rauch, den sie durch ihren Schornstein blies, wurde nicht mehr vom Wind fortgerissen, sondern geriet ins Führerhaus. Der Gestank war schier unerträglich. Fossile Brennstoffe und getrockneter Kot von Tieren, vielleicht von den Krummhörnern, die Rahil im Flüchtlingslager gesehen hatte … Er wagte kaum sich vorzustellen, was ihm da in Lunge und Poren geriet, und diesmal waren keine Femtomaschinen zur Stelle, die alle toxischen Substanzen schnell abbauten und angerichtete Zellschäden reparierten.
    Manchmal glaubte Rahil, Lichter in der Dunkelheit zu er kennen, aber vielleicht spielte ihm seine Müdigkeit einen Streich. Sammaccan überprüfte die Instrumente, betätigte Kurbeln und Hebel und schaufelte Kohle und Dung, der noch grässlicher roch, wenn er von regennassen Stellen des Tenders stammte. Rahil half ihm manchmal mit der Schaufel, bis Sammaccan schließlich den Kopf schüttelte, einen Klappstuhl aus einem Fach zog, ihn in die Ecke am Fenster stellte und Rahil mit sanftem Nachdruck darauf drückte.
    »Ruh dich aus«, zischte er, und der Interpreter übersetzte. »Es ist eine lange Reise.«
    Coltan saß auf den Kohlen, die linke Hand zum Gesicht gehoben. »Ich glaube, du hast mir die Nase gebrochen.«
    Und wenn schon, dachte Rahil. »Wie haben wir überlebt?«, fragte er.
    »Genügt es dir nicht, dass wir noch am Leben sind?«
    »Wieso ausgerechnet wir drei? Alle anderen sind tot, nicht wahr?«
    »Nein.« Coltan rutschte ein wenig zur Seite, als Sammaccan erneut nach der Schaufel griff, die Klappe öffnete und das hungrige, feurige Maul der Lokomotive mit noch mehr Kohle und Dung fütterte. Wenigstens haben wir es warm, dachte Rahil. »Zwei meiner Gardisten haben ebenfalls überlebt. Ich nehme an, dass sie sich jetzt an Bord eines Staubschiffes befinden und nach Jadoo unterwegs sind.«
    »Sind die Schirmfelder stark genug gewesen, um uns während der letzten Phase des Absturzes zu schützen?«, fragte Rahil. »Und hat die Atemluft in ihrem Innern ausgereicht?«
    Coltan betastete erneut seine Nase und zuckte die Schultern.
    Es gibt mehrere Möglichkeiten, dachte Rahil, als er schwer und müde auf dem Stuhl saß und mit dem inneren Auge beobachtete, wie die Gedanken in seinem Kopf kreisten. Hatte der Gesserat namens Zacharias erneut von der überlegenen Technik der Hohen Mächte Gebrauch gemacht? Rahil gefiel die Vorstellung eines Helfers im Hintergrund, der über die Magie von »hinreichend fortschrittlicher Technologie« verfügte, denn sie gab ihm das Gefühl, nicht ganz so hilflos zu sein. Völlig ausgeschlossen war es nicht, denn immerhin befanden sich zwei Poleis im Lagoni-System, eine von ihnen in der Nähe von Heraklon. Aber es war auch möglich, dass der Verbündete seines Vaters eingegriffen hatte, um zu verhindern, dass sein menschliches Werkzeug ums Leben kam.
    Menschliches Werkzeug, wiederholte Rahil in Gedanken. Ich gehe automatisch davon aus, dass es keine echte Partnerschaft ist, dass mein Vater nur benutzt wird, aber ich sollte mich hüten, voreilige Schlüsse zu ziehen.
    »Wer hat dir geholfen?«, fragte er. »Wer ist dein Verbündeter bei den Hohen Mächten?«
    »Du wirst alles erfahren, wenn wir beim Artefakt sind, mein Sohn.«
    »Das Schiff, das vor siebenundachtzig Jahren nach Heraklon kam und den neuen Botschafter brachte«, sagte Rahil. »Warum flog es nach Norden in die Arktis?«
    Diesmal lächelte Coltan. »Alles zu seiner Zeit, mein Sohn, alles zu seiner Zeit.«
    Der Wind wehte Regen herein, und Rahil duckte sich weiter in die Ecke. Einige Tropfen trafen die heiße Kesselklappe und verdampften zischend.
    »Du hast gesagt, dass du weißt, wo ich Äguizabel finden kann«, sagte Rahil. »Wo?«
    Sammaccan ließ die Schaufel sinken und schien ebenfalls auf die Antwort zu warten. Der Interpreter übersetzte die ganze Zeit über; er konnte dem Gespräch also folgen.
    »In Lautaret.«
    »Bei den Vogelmenschen?«, zischte Sammaccan. Es klang nicht sonderlich begeistert.
    »Ist das weit von hier?«, fragte Rahil und fühlte, wie ihm selbst die Zunge schwer wurde. Das Schnaufen und Keuchen der Lokomotive wurde leiser, auch das Heulen des Windes und der prasselnde Regen. Er konnte der Müdigkeit nicht mehr lange standhalten.
    Sammaccan überlegte. »Lautaret befindet sich mehr als tausend Kilometer nordwestlich von hier. Wir müssen bei der nächsten Verteilerstation die Trasse wechseln. Von Lautaret aus sind es noch einmal tausend Kilometer bis zum Süden von

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