Artefakt
müssen sofort weiter nach Eckrote, zur dortigen Niederlassung der Ägide.«
»Es geht um eine wichtige Mission«, fügte Sammaccan hinzu. Die zugezogene Kapuze des Regenmantels dämpfte seine Stimme, und offenbar verfügte Durrwachter nicht über ein Komm-Modul, denn er richtete einen fragenden Blick auf Rahil.
»Mein Assistent betont die Wichtigkeit unserer Mission«, sagte Rahil und ging schneller, als er glaubte, voraus, das Ziel zu erkennen: ein mehrstöckiges Gebäude, angestrahlt von mehreren schwebenden Lampen, mit einem funkelnden Fraktalsymbol der Leskovar über dem Eingang.
»Der Justizdelegat könnte auf die Idee kommen, dir zu befehlen, bis zum Ende der Untersuchung auf Kedra oder im Habitat zu bleiben«, sagte Durrwachter.
»In dem Fall müsste ich von meinen Exekutor-Privilegien Gebrauch machen.«
Durrwachter hielt ihn plötzlich am Arm fest. »Verdammt, bedeutet dir ihr Tod denn gar nichts? Ihr wart damals ein Paar …«
Rahil löste die Hand mit sanftem Nachdruck von seinem Arm. »Ich trage ein Empirion, das meine Gefühle dämpft. Ich versichere dir, dass ich Lucrezias Tod mindestens ebenso be dauere wie du. Sie ist zu einem Kollateralopfer meiner Mission geworden.«
»Ein Kollateralopfer, wie? Meine Güte, ich bin froh, dass ich mich damals gegen die Ägide entschieden habe. Lucrezia hatte ebenfalls die Nase voll.«
Rahil ging weiter, Sammaccan an seiner Seite, blickte durch die Nacht und sondierte mit den Sensoren der Rüstung. Die Pflicht, dachte er mit der Entschlossenheit, die ihm die neuronale Stimulation verlieh. Letztendlich kommt es nur darauf an. Jeder von uns muss seine Pflicht erfüllen.
Der Wind wurde noch stärker, fegte durch das Lager und trieb den Regen fast waagerecht vor sich her.
»Sie hat sich gewünscht, unseren Durchbruch mitzuerleben«, sagte Durrwachter, als er mit schnellen Schritten zu Rahil und Sammaccan aufgeschlossen war. Er sprach laut, um das Heulen des Windes zu übertönen. »Lucrezia. Sie hoffte, lange genug zu leben, um den ersten Entschlüsselungserfolg mit uns zu feiern. Wir sind nicht mehr weit davon entfernt, Rahil. Noch ein oder zwei Jahre, und wir haben die erste Sequenz decodiert. Zwei Maints helfen uns dabei, die Fraktalmathematik der Hosprit anzuwenden, und endlich sehen wir Licht am Ende des Tunnels.«
Ja, dachte Rahil, aber es ist nicht das Licht des Ausgangs, das ihr dort seht, sondern von etwas, das euch entgegenkommt und euch alle zermalmen wird. »Die Sucht wird euch alle erwischen, bevor es euch gelingt, auch nur einen einzigen Ton zu decodieren.«
»Ich bin nicht süchtig!«, erwiderte Durrwachter sofort und bewies damit, dass Rahil einen wunden Punkt berührt hatte. »Ich …«
Er unterbrach sich, als plötzlich das Licht im Lager ausging. Einige Sekunden herrschte völlige Finsternis, und dann flackerte ein Blitz.
Das Tosen des durchs Tal strömenden Flutwassers vermischte sich mit dem vom dunklen Himmel kommenden Donnern, und darin verlor sich fast das Krachen der Explosion, die unweit der Barriere einen zweiten Blitz schuf. Rahil hielt mit Augen und Sensoren Ausschau und bemerkte einen undeutlichen, farblosen Schemen im Regen, den vagen Umriss einer humanoiden Gestalt.
»Was …«, begann Durrwachter.
»Deine Waffe!«, stieß Rahil hervor. »Gib sie mir!« Als Durrwachter nicht sofort reagierte, langte Rahil in die Tasche von Durrwachters Regenmantel und holte die Waffe daraus hervor. Leider verfügte sie nicht über ein Interface, das direkte Verbindungen mit einer Rüstung ermöglichte. Kühl und fremd lag sie in Rahils Hand, und wahrscheinlich ließ sich damit gegen einen voll ausgerüsteten Ascar nicht viel ausrichten; aber sie war immer noch besser als gar nichts.
»Was auch immer geschieht«, zischte er Sammaccan zu, »bleib an meiner Seite.«
Der Polymorphe nickte.
Mit der freien Hand ergriff Rahil Durrwachters Arm und zog ihn mit, als er den Weg zum mehrstöckigen Gebäude fortsetzte. Es waren nicht nur die mobilen Lampen ausgefallen; auch hinter den Fenstern brannte kein Licht mehr.
»Ich sehe überhaupt nichts«, knurrte Durrwachter. Ein Windstoß riss ihm den Hut mit der breiten Regenkrempe vom Kopf, und er versuchte vergeblich, ihn festzuhalten.
»Es ist der Ascar«, sagte Rahil schnell. »Er hat eine der Justizdrohnen erledigt. Ich hab ihn bei der Barriere gesehen.« Er sah kurz nach Norden und sondierte mit den Sensoren der Rüstung, aber die Gestalt, die sich eben noch kurz gezeigt hatte, blieb verschwunden.
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