Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brandhorst
Vom Netzwerk:
hatte inzwischen genug Zeit für die Umstellung. Sind Sie bereit für eine weitere Veränderung?«
    Eine weitere Veränderung?, dachte Rahil.
    »Ja«, sagte die Stimme, und das farblose Nichts wich einer grünen Hügelkuppe. Ein Tisch stand vor Rahil, aus weißem Marmor mit smaragdgrünen Intarsien, die fraktalen Mustern nachempfunden waren, seine Beine dünne kannelierte Säulen. Die vier Stühle am Tisch bestanden aus einem halb durchsichtigen pinkfarbenen Material, wie Rosenquarz, und sie wirkten sehr fragil. Doch einer von ihnen trug das Gewicht eines nicht eben leicht aussehenden Geschöpfs, das an einen Choloepus erinnerte: ein Gesserat. Es bewegte sich auch mit der Trägheit eines Faultiers, als es mit einer Hand winkte und auf den nächsten Stuhl deutete. »Nehmen Sie Platz. Ich möchte ein bisschen mit Ihnen plaudern.«
    »Plaudern?« Rahil sank auf einen der Stühle und stellte fest, dass er keinen Regenmantel mehr trug, sondern eine kurze Hose, aus der weiße Beine ragten, und darüber einen lindgrünen Kasack. Was war aus seiner Rüstung geworden? Er spürte sie noch immer, das glaubte er zumindest, aber er sah sie nicht an seinem Körper. »Haben Sie mich deshalb aus dem Transit geholt? Um ein wenig mit mir zu plaudern ?«
    »Oh, Sie befinden sich noch immer im Transit, Rahil«, erwiderte der Gesserat leichthin. »Dies ist nicht mehr als ein gestoh lener Moment. Minuszeit, wenn Sie so wollen. Sie können doch einen Moment Ihrer Zeit für mich erübrigen, oder?«
    »Bleibt mir eine Wahl?«
    Ein überraschend menschlich wirkendes Lächeln erschien im pelzigen Gesicht des Gesserat. »Sie haben die Wahl zwischen einem gemütlichen kleinen Plausch und dem Geschoss, das auf Ihren Nacken zielt. Vom Transitschmerz ganz zu schweigen.«
    Leichter Dunst hatte den grasbewachsenen Hügel umgeben, wie nach einem heftigen Regenschauer, und jetzt lichtete er sich, als leichter Wind aufkam, der Rahil warm über die Beine strich. Ein Glitzern erschien am Fuß des Hügels und breitete sich von dort bis zum fernen Horizont aus, ein Funkeln wie von zahllosen Eiskristallen, die das Licht brachen und eine vom Blickwinkel des Beobachters abhängige Farbenpracht schufen.
    »Alles hängt vom Blickwinkel des Beobachters ab, Rahil«, sagte der Gesserat. »Haben Sie jemals daran gedacht? Oh, natürlich haben Sie das. Ich bitte um Entschuldigung. Selbst eine Spezies wie Sie ist zu solchen Erkenntnissen fähig.«
    Rahil beobachtete noch immer das bunte Glitzern und wünschte sich, mehr von den einzelnen Kristallen zu sehen, woraufhin sie für ihn anschwollen, wie von unsichtbaren Händen zu ihm getragen, und so groß wurden, dass sie sich als Gebäude entpuppten, von variabler Größe und Geometrie. Im Innern dieser Gebäude gab es weitere Bauwerke, die kleiner sein mussten, wie der menschliche Verstand behauptete, und doch fühlte Rahil, dass sie nicht weniger Platz boten. Alles hing vom Willen ihrer Bewohner ab, die auch über ihr eigenes Er scheinungsbild befanden. Er hörte ihre Stimmen wie das Rauschen des Windes in den Baumwipfeln eines Waldes, und ebenso komplex wie das Lied der Kosmischen Enzyklopädie.
    »Natürlich sind die Stimmen so komplex wie das, was Sie › Lied ‹ der Enzyklopädie nennen«, sagte der Gesserat. »Immer hin ist die Enzyklopädie unser Kommunikationsmedium. Durch sie sprechen wir miteinander, über die Abgründe von Raum und Zeit hinweg.«
    Wieder glaubte Rahil, Herablassung in der Stimme des großen, massigen Geschöpfs auf der anderen Seite des Tisches zu hören, und Ärger erwachte in ihm. Wie arrogant der Gesserat war, wie eingenommen von sich und seiner Überlegenheit. Er hatte sich nicht einmal vorgestellt.
    Das pelzige Wesen deutete eine Verbeugung an. »Ich bitte um Verzeihung. Mein Name lautet Jar Enhelian Gavira Enei Cropcor’al’Tentero az Halgewi. Das ist vermutlich ein bisschen lang für Sie, und deshalb dürfen Sie mich Zacharias nennen.«
    »Zacharias?«
    Der Gesserat hob und senkte die Schultern, was ebenfalls sehr menschlich wirkte. »Ein Name ist so gut wie jeder andere.«
    »Namen bedeuten Identität.«
    »Bei Ihnen«, erwiderte Jar Enhelian Gavira Enei Cropcor’ al’Tentero az Halgewi, der Zacharias genannt werden wollte. »Sie brauchen einen Namen, um sich abzugrenzen, um das zu benennen, was Sie für Identität halten und doch nur eine Illusion ist, von Ihrem Gehirn geschaffen, das sich um einen Körper kümmern muss, eine Beschäftigung, der es alles unterordnet. Sie stehen

Weitere Kostenlose Bücher