Artefakt
Vorstöße der Türken in die Ägäis zunichte gemacht, wobei allerdings viele Schiffe und Flugzeuge in einem großen Kampf vor der Insel Chios verlorengegangen waren. Die türkischen Verluste sollten noch beträchtlich höher sein, hauptsächlich weil die Griechen über besser ausgebildete Piloten verfügten, aber die Türken waren zahlenmäßig überlegen.
Der entscheidende Punkt war, wer die Herrschaft über die offene See gewann. Gelang es den Türken, die griechische Marine zu zerschlagen, konnten sie ungehindert amphibische Landungsschiffe über die Ägäis schicken und eine Invasion Mittelgriechenlands durchführen, was vermutlich eine rasche Entscheidung des Krieges zu ihren Gunsten bewirken würde. Vermochten die Griechen sich aber auf See zu behaupten, so bestand angesichts der Wahrscheinlichkeit eines langen und verlustreichen Abnutzungskrieges die Möglichkeit eines Waffenstillstands auf der Basis des Status quo.
Weit im Norden, wo beide Länder eine gemeinsame Grenze in Thrakien hatten, entwickelten sich bereits Landschlachten, doch erwartete man, daß die Griechen im hügeligen Terrain ostwärts der Halbinsel Chalkidike ihren schmalen Landstreifen auch gegen eine starke türkische Übermacht würden halten können.
Unterdessen bemühten sich Diplomaten um einen Waffenstillstand. Die Türkei verlangte den Beistand ihrer NATO-Verbündeten.
Gerüchte wollten von sowjetischen Waffenlieferungen an Athen wissen, wobei es sich vor allem um neuartige Flugabwehrraketen handeln sollte. Die griechische Regierung erbat offen Unterstützung vom sozialistischen Lager, womit nur der Warschauer Pakt gemeint sein konnte.
Carmody zeigte zu der großen Übersichtskarte, die ein Gesprenkel gruppierter Punkte über der nördlichen Ägäis zeigte. »Die Türken sind heute nacht aktiv. Das wird die Griechen beschäftigen.«
»Ja«, sagte John unbehaglich. »Für eine Weile.«
2
Als Claire nach ihrem Nickerchen in die Messe der Watson kam, zeigte der Fernseher die Übertragung eines amerikanischen Programms. Nicht die Nachrichten, nicht einmal ein Baseball- oder Footballspiel, wie sie von den Seeleuten erwartet hätte, die bequem herumsaßen, Kaffee tranken und das Programm verfolgten.
Sie mußte zugeben, daß die klischeehaften Vorstellungen über Seeleute, die sie bisher akzeptiert hatte, zumindest im Fall dieser Männer irrig gewesen waren. Sie waren beweglich, intelligent und diszipliniert, ohne starr zu sein. Selbst jetzt wahrten sie bei allen schlauen Blicken, die sie ihr aus den Augenwinkeln zuwarfen, eine geziemende Zurückhaltung. Sie war sich sehr wohl bewußt, daß die Besatzungsmitglieder seit mehr als einem Monat keine Frau aus der Nähe gesehen hatten. Es war wie ein gleichförmiger Unterton an Bord, eine Sache der Körpersprache und zu langer Blicke, nichts, wogegen sie Einwände hätte erheben können, und von seiten der Männer vielleicht nicht einmal bewußt. Aber es war da. Immerhin hielten sie es zurück, so gewissenhaft und ordentlich wie ihre gebügelten blauen Uniformen.
Das Fernsehen zeigte einen Informationsfilm über Mikrobiologie, in dem DNS-Moleküle sich wie bunte, tanzende Schlangen unter einem wachsamen Elektronenmikroskop ringelten. Die Begleitmusik hörte sich wie ein elektronisch verfremdetes barockes Cembalo an. Die Stimme des Kommentators erklärte den einzigartigen Stellenwert, den die Ionen von Phosphorverbindungen in unserer Biologie einnahmen, glaubte darin Ordnungen zu erkennen, die er auf Ideen des 15. Jahrhunderts vom Uhrenbau und Planetenbahnen zurückführte, die er wiederum mit der Entwicklung der bürgerlichen Freiheiten in der modernen Welt verband. Die Musik ging zu Beethoven über. Darwin trat auf, dann modernistische Drucke, die den Lebensüberdruß illustrierten, und dann wurde über Prädestination und Freud gesprochen.
Die heitere, die saubere Wissenschaft. Das sollte offenbar die Botschaft dieses sonderbaren Potpourris von Wissenschaftswerbung sein. Daß man solche Reklame überhaupt nötig zu haben meinte, ließ den Schluß zu, daß der Fortschrittsglaube auch in den Kreisen seiner Verfechter brüchig wurde. Jedenfalls hatte das alles nichts mit dem Herumkriechen in einer Höhle zu tun, oder mit der Suche nach einem Etwas, das tödliche Gammastrahlen aussendete. Damit natürlich nichts. Sie nahm einen Plastikbecher des schrecklichen Kaffees in die Hand und ging auf Deck.
Die Nachtkälte vermochte ihrer dicken Jacke nichts anzuhaben. Sie ging langsam
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