Artefakt
Verhältnisse, ein schwarzgrünes Fanal im struppigen, ausgedörrten Busch. Claire mochte den frischen, würzigen Duft, und aus Gewohnheit richtete sie ihren Blick zu den entfernten Höhen, wo Baumreihen den Horizont belebten. Bis zum Beginn der Herbstregen würde das Land sich nicht von der sengenden Trockenheit des gerade zu Ende gegangenen Sommers erholen können. Eine willkommene Brise wehte; sie trug ein Gewisper leiser Brandungsgeräusche von der anderen Seite des Hügels herüber, wo das Land in steilen Kliffs zur Ägäis abfiel.
Nun, da die meisten Expeditionsmitglieder heimgekehrt waren, schien die Gegend verlassen. Claire vermißte die Stütze des Gemeinschaftsgefühls, die lockere, kollegiale Organisation der Vermesser, Feldarchäologen, Fundauswerter, Vorarbeiter und Hilfskräfte. Jetzt waren die sandfarbenen Zelte leer, die gesammelten Früchte der sommerlichen Arbeiten erwarteten ihre Reise nach Athen.
Vom Lager ging man nur fünf Minuten zum Eingang der Grabkammer. Auf dem ansteigenden Weg gewannen sie bald einen Blick auf die ausgegrabene alte Siedlung wo die Saison über der größte Teil der Arbeit geleistet worden war. Obwohl die freigelegten Mauerreste und eingestürzten Bauwerke zahlreiche Töpferscherben und Gebrauchsgegenstände ergeben hatten, war wenig davon eigentümlich. Das Verständnis des mykenischen Griechenland hatte durch diesen heißen, konfliktgeladenen Sommer keine wesentlichen Impulse erfahren. Immerhin legte das Tholos-Kuppelgrab über der Siedlung den Schluß nahe, daß die Gegend zur damaligen Zeit von politischer Bedeutung und vielleicht sogar wohlhabend gewesen war, regiert von einem Herrscher, den man eines aufwendigen Begräbnisses würdig erachtet hatte. Das Kuppelgrab mochte sogar diese letzten Untersuchungen am Ende der Feldexploration rechtfertigen. Das war wenigstens ihre Hoffnung. Sie hatte ihren Forschungsauftrag von der Universität Boston um ein Semester verlängern lassen, um die Grabungsstätte zu schließen und ihre eigenen Projekte zu beenden. Bisher hatte sich ihre sorgfältig kalkulierte Investition von Zeit und Arbeitsaufwand nicht ausgezahlt.
Ein paar Schritte vor ihrem Helfer marschierte sie zwischen den massiven Kalksteinquadern durch den freigelegten Zugang. Ihre Bewegungen waren rasch und energisch, und bei jedem Schritt hörte man den derben, khakifarbenen Stoff ihrer Hosenbeine aneinanderstreifen. Mit achtundzwanzig hatte sie an sieben größeren Ausgrabungen in Griechenland und der Türkei teilgenommen und die Arbeit hatte sie sehnig und muskulös gemacht.
Die Wände des langen, ungedeckten Korridors stiegen zu beiden Seiten an und bildeten einen Einschnitt in den Hang, der bis zum hohen, rechteckigen Eingang der Grabkammer führte. Sie traten unter dem mächtigen Türsturz durch und sahen sich unvermittelt in tiefem Halbdunkel. Ihre Schritte hallten unter dem falschen Gewölbe des Kuppelgrabes.
Claire blieb bei einigem herumliegenden Werkzeug stehen. »Dieser Raum ist wirklich armselig.« Vorsichtig bewegte sie sich weiter. »Gott, was für ein Gewurstel.«
»Es wird halten«, sagte George trotzig. Er schlug mit der flachen Hand gegen eine der Verstrebungen. Die aus der Wand entfernte Steinplatte baumelte in einer aus knarrenden Seilen geknoteten Halterung. Sie sah, daß er sich seiner Aufgabe auf die einfachste Art und Weise entledigt hatte, ohne die Platte seitlich zu sichern. Der wichtigste Teil aber war die Abstützung der entstandenen Wandöffnung. Das schien in Ordnung zu sein. Er hatte mit den Standard-Stahlstreben gearbeitet und sie fest eingekeilt, damit sie das Gewicht trugen. Sie beugte sich zur Steinplatte.
Drei konzentrische Kreise waren in die der Grabkammer zugekehrte Oberfläche gemeißelt. Dies hatte von Anfang an ihre Neugier erregt. An den Rändern waren da und dort Kratzspuren zu sehen, die nach ihrem Urteil wahrscheinlich nicht von Bedeutung waren. Sie besah die andere Seite. Grauer Mörtel haftete an den Kanten, zerbröckelte zwischen den Fingern. Die Rückseite der Platte war leer, uninteressant.
»Zu dumm«, sagte sie.
»Ja.« George brachte eine Handlaterne und kauerte bei ihr nieder. »Aber sieh mal durch die Öffnung!«
Sie drehte sich unbeholfen in dem engen Raum zwischen der Platte und der Innenwand des Kuppelgrabes, bückte sich und spähte in die große Öffnung. Ein bernsteinfarbener, matt schimmernder Zapfen wies zu ihr heraus. Er war irgendwie auf schwarzem Gestein befestigt.
Ihr Stockte der Atem.
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