Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)
dies begreift, ist absolut zentral und nicht weniger ein Stück meines Wesens als meine persönliche Perspektive.»[ 38 ]
Nagel verwendet hier das Wort «Personen». Allerdings sind sich nicht alle, die Leid oder Freude empfinden, dieser Tatsache auch auf einer Meta-Ebene bewusst; man muss nicht «Ich» sagen (oder das Konzept verstehen) können, um bewusste Empfindungen zu haben. Bewusstsein ist nicht gleich Selbst-Bewusstsein. Doch nur wer sich seiner selbst bewusst ist, von den eigenen impulsen etwas zurücktreten und über sein Handeln rational nachdenken kann, besitzt moralische Verantwortung. Darum ist es, auch wenn es unschön klingt, sinnvoll, moralische Subjekte von moralischen Objekten zu unterscheiden. Die ersteren sind moralische Akteure – also erwachsene, geistig gesunde Menschen, die zwischen Handlungsalternativen bewusst und unter moralischen Gesichtspunkten abwägen können.
Unendlich viel größer ist die Menge all der empfindungsfähigen Lebewesen, die zwar ein subjektives Wohl besitzen,aber nicht in der Lage sind, selbst moralisch zu agieren; diese nennen wir moralische Objekte. Weil die Menge der Objekte die der Subjekte zwar einschließt, aber unvergleichlich viel größer ist, kann man das moralische Universum als asymmetrisch bezeichnen. Ebenso wie der Demente ein Recht auf Eigentum hat, auch wenn er dieses Konzept vielleicht nicht mehr versteht, oder wie Kinder ein Anrecht auf Kindergartenplatz und Krankenversicherung haben (sollten), so können auch Tiere moralische Rechte haben, obwohl sie selbst von Moral und Rechten nichts wissen.
Doch was genau bedeuten nun «Rechte» (und die ihnen korrespondierenden Pflichten)? Ich meine, dass eine naturrechtliche Auffassung, nach der Menschen (und Tiere) Rechte einfach so «haben», irreführend und letztlich eine nur halbherzig vollzogene Säkularisierung der Idee göttlichen Rechts ist. Tatsächlich sind Rechte das Ergebnis von Selbstverpflichtungen, die wir als moralische Subjekte eingehen. Wenn wir – als Einzelne, aber zumeist doch als größere Gruppe oder ganze Gesellschaften – beispielsweise zu der moralischen Überzeugung gelangen, dass alle Menschen und Tiere ein Recht auf Unversehrtheit haben, dann verleihen wir ihnen dadurch gedanklich dieses Recht. Es ist somit ihr Recht an oder gegenüber uns. Ihren Rechten korrespondieren unsere Pflichten. Weil sie universell gedacht sind, haben diese Rechte einen Hang, sich zu verselbstständigen, ein Eigenleben zu entwickeln, und das ist gut so: Die Argumente für bestimmte Rechte bleiben überzeugend, selbst wenn die Konsequenzen manchmal unbequem werden; und wie ein einmal gegebenes Versprechen bleiben auch die Rechte bestehen.
Nun zählt einerseits die Kritik des Speziesismus, also einer Schlechterbehandlung anderer Lebewesen, nur weil sie nicht Angehörige unserer eigenen Spezies sind, zu den Kerninhalten der Tierethik. Andererseits ist damit noch nicht ganz geklärt, ob Tiere wirklich dieselben Rechte besitzen(sollten) wie wir Menschen. Dem Inhalt nach – wenn es um Schulbildung geht oder Urlaubsansprüche – gibt es offensichtliche Unterschiede, ebenso wie ja auch nicht alle Menschen dasselbe brauchen, können, wollen. Aber haben gleichlautende Rechte, zum Beispiel das auf Unversehrtheit oder Freiheit, bei Mensch und Tier das gleiche Gewicht? Menschliche und tierische Rechte dort abzuwägen, wo sie miteinander konkurrieren, bildet den Inhalt konkreter tierethischer Fragestellungen. Daher muss diese Frage nach der vollständigen moralischen Gleichheit von Mensch und Tier hier noch nicht allgemein gelöst werden. Praktisch scheint jedoch folgende Vorentscheidung zu sein: Es gibt Fälle, in denen wir zu Recht, und andere, wo wir zu Unrecht zwischen den Angehörigen diverser Spezies unterscheiden. Wo diese Unterschiede nicht gerechtfertigt, sondern Ergebnis von Voreingenommenheit oder Bevorzugung unserer eigenen Spezies sind, sprechen wir im abwertenden Sinne von Speziesismus. Ob es aber auch Fälle von verzeihlichem Speziesismus gibt, werden wir noch sehen.
Zweites Kapitel
Dürfen wir Tiere quälen?
Tierversuche und milder Speziesismus • Vitale Interessen und gravierende Belastungen • Wie abwägen? • Der Unterschied zwischen Tun und Lassen • Fälle von persönlicher Betroffenheit • Zusammenfassung und mehr
Es ist eine ambivalente Freude, mit Tierschützern befreundet zu sein: Sie haben nämlich die Angewohnheit, einem ständig Protestaufrufe mit Fotos zuzumailen, die man
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