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Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)

Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)

Titel: Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilal Sezgin
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wollten halt wissen, «wie das aussieht». Abfällig nennen wir es Neugier, aber ist es nicht eventuell Wissensdurst? Gehören Neugier und Wissensdurst nicht ebenfalls zu einem erfüllten Menschenleben?
    Wir Erwachsenen jedenfalls haben dafür institutionalisierte Wege gefunden. Man entfernt Goldfischen die Augen (was machen sie dann?) und enthält gefangenen Silbermöwen sechs Tage lang das Futter vor (wie lange können sie hungern?). Man amputiert Kaninchen Sexualorgane, näht sie am Rücken wieder an, findet heraus, dass sie ein fehlgeleitetesSexualverhalten an den Tag legen, und nennt es Grundlagenforschung.
    Zugegeben, etwas polemisch habe ich da Fälle von kindlichem Sadismus mit solchen des männlichen Ehrgefühls, des menschlichen Pflichtgefühls, des wissenschaftlichen Übereifers durcheinander gewürfelt. Doch sind die Trennlinien so eindeutig zu ziehen? Wollen wir wirklich behaupten, jeder dieser Zulu-Männer habe einen üblen Charakter – und umgekehrt, es gehöre nicht auch ein bestimmtes Persönlichkeitstraining dazu, einem Kaninchen giftige Substanzen in die Augen zu sprühen?
Tierversuche und milder Speziesismus
    Alle diese Fälle haben gemeinsam, dass wir, um sie moralisch zu beurteilen, menschliche Interessen zu tierischen ins (moralische) Verhältnis setzen müssen. Die dahinter stehende Frage ist: Dürfen wir Tieren Qualen zufügen, wenn es unseren Interessen dient? Um diese Frage zuzuspitzen, verlassen wir den Freizeitbereich, stattdessen soll es um Tierversuche gehen. Hier werden Tiere meist enormen Belastungen ausgesetzt –
und
es steht auch auf Seiten der Menschen mehr auf dem Spiel als nur ein Hobby.
    Dafür werde ich mich auf die sogenannten medizinisch notwendigen Tierversuche konzentrieren; so werden gemeinhin Versuche bezeichnet, die in näherer Zukunft einer ansehnlichen Zahl Menschen eine deutliche Verbesserung in Sachen Schmerzfreiheit, Leidensminimierung oder Lebensverlängerung bringen könnten. Ob es überhaupt solche Versuche gibt, welche Risiken die Übertragung ihrer Ergebnisse auf den Menschen birgt und welche Alternativen es gibt – all diese Fragen werde ich im Folgenden außen vor lassen. Zwar sind inzwischen so viele Informationen zu diesem Thema verfügbar, dass man sich auch als Laie eine Meinung dazubilden kann, ebenso wie man als Laie ja auch eine Meinung zu Atomkraft oder Steuerpolitik haben kann. Doch ist dies nun einmal ein Buch, das sich auf die ethische Diskussion konzentriert, und ich möchte mich hier nicht in dem empirischen Pro und Contra verlieren. Ebenfalls «unterschlage» ich die zunehmende Zahl der Tierversuche für die Grundlagenforschung, bei denen kein direkter Nutzen für den Menschen anvisiert werden kann, sowie all jene Tierversuche, die für Stoffe in Haushalt, Landwirtschaft und Industrie durchgeführt werden.
    Diese Einengung verzerrt die Diskussion zunächst natürlich deutlich zugunsten von Tierversuchen. Dennoch werde ich von einem gedanklich zugespitzten Fall, dem härtesten moralischen Konfliktfall, ausgehen, selbst wenn er so vielleicht nicht wirklich vorkommt: von medizinischer Forschung, die vitalen Interessen von Menschen dienen soll, während sie gleichzeitig mit dem Leid (und dem Tod) von Tieren einhergeht. Denn aus moralischer Perspektive ist die heikelste Frage im Zusammenhang mit der Tierqual eben genau diese: nicht, ob wir um eines rein sadistischen Kitzels (oder eines gelungenen Festtagsmenüs)[ 4 ] willen großes Leid zufügen dürfen, sondern ob wir Tieren Schmerzen zufügen dürften, wenn existenzielle menschliche Interessen auf dem Spiel stünden, zu deren Beseitigung es unvermeidlich scheint, Tieren Qualen zuzufügen.
    Die Frage der Tierversuche führt also unmittelbar wieder zu der Speziesismus-Diskussion – nur jetzt viel präziser als zuvor. Es ist gut und schön zu sagen, wir sollten Tiere moralisch berücksichtigen; aber wie viel sind wir bereit, Tieren zuzugestehen, wenn es um Leben, Tod und Wohlergehen von uns Menschen geht? Wenn Speziesismus die illegitime Bevorzugung der eigenen Art ist – auf welche dieser Privilegien müssten oder sollten wir denn verzichten?
    In seinem Buch
Warum man Lassie nicht quälen darf
trifft Johann S. Ach eine interessante Unterscheidung zwischenabsolutem, radikalem und mildem Speziesismus.[ 5 ] Der absolute Speziesist leugnet ganz generell, dass Angehörige anderer Spezies irgendwelche moralischen Ansprüche haben, und damit liegt er völlig außerhalb des Argumentationsrahmens dieses

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