Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)
Buch
Die Befreiung der Tiere
aufnahm, zu einem zentralen Begriff der Tierethik und der Tierrechtsbewegung. Doch der Grundgedanke, die Erweiterung der Moral über Speziesgrenzen hinaus, fand bereits 1789 in einer Fußnote des Utilitaristen Jeremy Bentham eine bis heute berühmte Form: «Es mag der Tag kommen, an dem man begreift, dass die Anzahl der Beine, die Behaarung der Hautoder das Ende des Kreuzbeins gleichermaßen ungenügende Argumente sind, um ein empfindendes Wesen dem gleichen Schicksal zu überlassen. Warum soll sonst die unüberwindbare Grenze gerade hier liegen?» Stattdessen liege das entscheidende Kriterium ganz woanders: «Die Frage ist nicht ‹Können sie denken?› oder ‹Können sie reden?›, sondern
‹Können sie leiden?
›.»[ 36 ]
Wer etwas mehr von Bentham liest als diese Fußnote, wird merken, dass es mit seinem eigenen Antispeziesismus leider nicht ganz so weit her war, wie man sich wünschen könnte.[ 37 ] Und natürlich wirken auch seine Beispiele etwas antiquiert. Ich jedenfalls habe die Behauptung, dass das Vorhandensein eines Schwanzes oder eines Fells das zentrale Kriterium für einen moralischen Freibrief zum Quälen sei, ehrlich gesagt noch nie gehört. Bentham meint hier wohl eher das, was man heute die biologische Zugehörigkeit zu einer Spezies oder die genetische Grundausstattung nennen würde. Ohne uns darüber explizit Rechenschaft abzulegen, ziehen wir meist einfach eine Grenze bei allem, was einen doppelten menschlichen Chromosomensatz hat, und privilegieren die menschliche Spezies, indem wir sie durch umfassende moralische und gesetzliche Rechte schützen. Tierrechtler halten nun mit einem Argument, das dem von Bentham ähnelt, dagegen: Allein die Zugehörigkeit zu einer Spezies kann nicht relevant sein. Es sind nicht die Chromosomen, die uns zu Trägern bestimmter Rechte machen. Dass jemand ein Mensch ist und jemand anderer «nur ein Tier», also schlicht ein Angehöriger einer anderen Spezies, kann kein moralisch relevanter Grund sein.
Völlig richtig. Doch unsere gesellschaftliche Praxis und unsere kulturellen Traditionen handhaben das eben anders. Viele Menschen, sogar die meisten, denken, dass im Konfliktfall die Interessen von uns Menschen schwerer wiegen als die von Tieren. Und zwar so viel schwerer, dass gegenüber Tieren fast alles erlaubt scheint. Nehmen wir das BeispielGänsestopfleber. Ich habe noch nie welche gegessen, würde aber behaupten: So fantastisch
kann
Foie gras einfach nicht schmecken, dass der Genuss rechtfertigen würde, Gänsen bei vollem Bewusstsein, unter Zwang und über Wochen mechanisch mehr Futter in den Schlund zu pressen, als sie aufnehmen wollen. Wer dies gutheißt, dem kann man nur eine starke Voreingenommenheit zugunsten von Menschen und grobe Missachtung tierischer Interessen bescheinigen: ein krasser Fall von Speziesismus.
Oft machen wir auch unbegründete Unterschiede zwischen einzelnen Tierarten. Zum Beispiel gibt es Menschen, die aus ethischen Gründen kein weißes oder rotes Fleisch, aber weiterhin Fische essen. Doch auch Fische sind empfindungsfähige Lebewesen, und ein Schleppnetz voller Fische ist mit einem LKW voller Schlachtrinder moralisch weitestgehend vergleichbar. Hier zieht jemand offensichtlich nicht die richtigen Schlüsse, sondern denkt «speziesistisch» – wenn auch hier nicht in der Form «Mensch übertrumpft Tier», sondern «Landlebewesen übertrumpft Meeresbewohner».
Dennoch ist der Speziesismus-Vorwurf nicht immer angebracht. Es gibt in der Tat Gründe, die dafür sprechen, dass wir bestimmte Pflichten nur gegenüber den Angehörigen der menschlichen Spezies haben; schließlich haben wir auch spezifische Pflichten gegenüber Mitgliedern der eigenen Gemeinschaft oder der eigenen Familie. Das eigene Kind muss man gelegentlich ermahnen und darin unterstützen, seine Schulaufgaben zu machen; einem fremden Kind ungebeten Hilfe aufzudrängen, wäre ein Übergriff; und einer Katze überhaupt etwas vorschreiben zu wollen – na ja, man kennt ja die Katzen! Übrigens trifft jeder Tierhalter, der seine Katze entwurmt, eine Unterscheidung aufgrund von Speziesgrenzen. Ein verantwortlicher Katzenfreund entwurmt die Katze regelmäßig. Hier Wurm, da Katze. Ist ein Katzenentwurmer Speziesist?
Zum Glück nicht, insofern wir die meisten wirbellosenTiere oben aus dem Bereich der ethisch relevanten Tiere herausgenommen haben. Das ist also gerade noch einmal gut gegangen! Dennoch bleibt die Sache mit dem Speziesismus
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