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Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)

Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)

Titel: Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilal Sezgin
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damit auch hier um moralische Rechte geht – also nicht unbedingt um solche, die gesetzlich festgelegt sind. Beides ist keineswegs gleichbedeutend. Wir haben moralische Rechte und Pflichten, die nicht gesetzlich reguliert sind, zum Beispiel bezüglich der Aufrichtigkeit unter Liebenden und Freunden. Umgekehrt gibt es gesetzlich festgeschriebene Rechte, die nicht der Moral entspringen; wenn ich eine Vollkaskoversicherung für mein Auto abgeschlossen habe, habe ich zwar im Schadensfall Anrecht auf Kostenerstattung – aber nur, weil ich darüber einen Vertrag abgeschlossen habe (höchstens gibt es auf einer Meta-Ebene die moralische Pflicht, Verträge einzuhalten). Außerdem gibt es Dinge, die explizit gesetzlich erlaubt und geregelt, aber möglicherweise trotzdem unmoralisch sind; je nach Weltsicht werden uns da Rüstungsexporte, die Hartz-IV-Sätze oder das Schlachten von Tieren einfallen – oder auch alle drei.[ 32 ]
    Zudem ist zu betonen, dass sich diese Moralität auf empfindungsfähige Lebewesen in Form von Individuen bezieht. Das heißt im Fall des Tiers ebenso wie des Menschen: auf daseinzelne Wesen, nicht etwa die Art. Bei der Tierethik geht es um das Tierindividuum – anders als in der Ökologie oder bei den Zuchtprogrammen der Zoos, wo mit dem Nutzen der Art argumentiert wird.[ 33 ] Ob aber die Population insgesamt weltweit floriert oder niedergeht, ist für das Individuum zunächst einmal nicht von Interesse. Uns Menschen ist unser täglich Brot nicht weniger wichtig, weil wir wissen, dass es noch viele andere gibt, die überleben würden, selbst wenn wir verhungerten. Umgekehrt lebt etwa der drittletzte Königstiger, auch wenn er so selten ist, darum noch lange nicht gern in Gefangenschaft. Seine Seltenheit erhöht seinen musealen Wert für den Menschen, versüßt ihm selbst jedoch die Gefangenschaft nicht. Ebenso wenig hilft es dem Schwein, das zur Schlachtung transportiert wird, dass sich neuerdings sogar große Fleischkonzerne die «Rettung» alter aussterbenden Haustierrassen auf die Fahnen schreiben.[ 34 ] Auch wenn die Rasse überlebt – das geschlachtete Schwein ist tot.[ 35 ]
    Was besagt dann der Begriff der Artgerechtigkeit? Abgesehen davon, dass in der modernen Landwirtschaft die meisten Dinge, die art-gerecht genannt werden, in höchstem Maße art-ungerecht sind, sollte Artgerechtigkeit im besten Fall heißen: Gerechtigkeit
gemäß
der Art – nicht
für
die Art. Die Art ist für moralische Überlegungen zur Haltung nur insofern relevant, als viele Bedürfnisse und Verhaltensweisen artspezifisch angelegt sind. Wahre Artgerechtigkeit bedeutet daher: Gerechtigkeit für das Individuum entsprechend der in ihm genetisch verankerten Lebensweise seiner Art. Doch die Berücksichtigung solcher biologischer Gegebenheiten – dass Hütehunde viel Beschäftigung, Schweine Gelegenheit zum Wühlen und Gänse Wasser zum Baden benötigen – soll dem Wohlergehen des einzelnen Tiers dienen, nicht dem der Spezies.
Gleichheit versus Speziesismus
    Apropos Spezies. In der Zeit, als ich Vegetarierin wurde, und noch viele Jahre danach war in der Tierethik ein bestimmtes Thema zentral, nämlich die Widerlegung des Speziesismus. Der Begriff «Speziesismus» ist analog zu «Rassismus» oder «Sexismus» gebildet und meint die Schlechterbehandlung von (nicht-menschlichen) Tieren allein aufgrund der Tatsache, dass sie keine Menschen sind. Somit ist Speziesismus ebenso ein Ausdruck von Benachteiligung oder gar illegitimer Herrschaft wie die anderen genannten Übel. Damit ist natürlich nicht gesagt, dass alle Spezies in ihren physischen und mentalen Eigenschaften gleich veranlagt sind – aber solche biologischen Unterschiede sind eben kein Grund, Lebewesen moralisch gewissermaßen in zwei Klassen zu unterteilen: hier wir Menschen, dort alle anderen. Vieles von dem, was uns dazu bewegt, Menschen gut zu behandeln, gilt genauso für Tiere. Und so, wie die Menschenrechte auf der Gleichheit aller Menschen fußen (zumindest vom Anspruch her), muss man sich fragen: Wenn Tiere auch Rechte besitzen, müssen wir etwa ihre vollkommene Gleichstellung mit uns realisieren? Wenn wir zugestehen, dass Tiere in das Reich unserer Moral hineingehören, lässt sich dann noch rechtfertigen, innerhalb dieses Reichs wieder eine Grenze zu ziehen zwischen uns und ihnen – oder wäre das reiner Speziesismus?
    Der Begriff Speziesismus wurde 1970 von dem britischen Psychologen Richard Ryder geprägt und dadurch, dass Peter Singer ihn in seinem

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