Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)
eines veranschaulichen: Mit Natur hat das heute verzehrte Fleisch herzlich wenig zu tun.
Aber ist mit den bisherigen Argumenten wirklich alles beiseite gewischt, was zunächst an der Intuition plausibel erschien, dass es beim Fressen und Gefressenwerden doch irgendwie um ein Faktum der natürlichen Welt geht, zu der ja auch der Mensch gehört? Es stimmt insofern, als der Mensch überhaupt etwas essen muss, und wir müssen nicht nur essen, sondern uns auch bewegen. Wir betreten Erdboden, verdrängen andere Lebewesen, gestalten Umwelt und Raum zu unserer Umgebung und unserem Zuhause um. Kurzum, wir schweben nicht als Engel über der Erde, sondern latschen als mittelgroße Landsäugetiere über die Welt, und als solche richten wir fast unvermeidlich irgendwelchen Schaden an und verbrauchen Ressourcen.
Aber genau das ist eben die Frage: Welchen Schaden? Wie viel Schaden an wem? Was und wie viel dürfen wir verbrauchen? Allein aus der Tatsache, dass es sich in einer Menschenmenge nicht immer vermeiden lässt, aus Versehen mal jemandem auf den Fuß zu treten, lässt sich ja nicht ableiten, dass ich auf eine x-beliebige Person zugehen und ihr absichtlich gegen das Schienenbein treten darf. Ebenso gibt die Tatsache, dass ich überhaupt etwas essen muss, noch keine hinreichende Antwort auf die Fragen: Was soll ich essen, wen lasse ich dafür zahlen, woher darf ich mir meine Nahrung nehmen?
Auch wir Menschen sind also in der Tat natürliche Wesen, nämlich körperliche Wesen und damit an die Empirie des Planeten Erde gebunden. Doch wir haben es hier eben mit einer ganz anderen Bedeutung von «Natürlichkeit» zu tun als der eingangs erwähnten, die suggerierte, der Verzehr Glutamat-getränkter Grill-Hähnchen sei natürlich, weil die Steinzeitmenschen schließlich auch Mammuts erlegten. «Natürlichkeit» ist ein schwammiger Begriff für ziemlich vieles. Dass wir körperliche Bedürfnisse haben, hat in der Tat Konsequenzen; unter anderem, dass wir Ressourcen aufbrauchen, die anderer Wesen Lebensraum sind. Doch dass wirdeswegen Lebewesen essen sollten, die mithilfe einer weltumspannenden Züchtungs-, Pharma- und Futtermittelindustrie hergestellt und mittels Hightechanlagen und Computerlogistik geschlachtet und verteilt werden – das folgt nicht zwangsläufig daraus. Das ist nicht einfach «natürlich». Das ist nicht jenseits aller Diskussion, sondern liegt an der Schnittstelle ziemlich vieler hochentwickelter menschlicher Kulturleistungen, unter anderem solcher aus Wirtschaft, Medizin und Ethik.
Anders gesagt: Die Moral kann weder versprechen noch versuchen, alles Leid aus der Welt zu räumen, erst recht nicht allen Tod. Allerdings geht es sehr wohl darum herauszufinden, wann es legitim ist, etwas Leidvolles (passiv) geschehen zu lassen oder gar (aktiv) zuzufügen, und wann nicht. Und ob wir ein Tier jetzt aus dem Leben reißen oder später (oder nie, sondern es sterben lassen), das entscheidet nicht die Natur, sondern der jeweils involvierte Mensch. Insofern ist der Tod, den wir zufügen, kein natürliches Geschehen, sondern Folge einer absichtsvollen Handlung. Was aber fügen wir dem anderen damit genau zu? Was bedeutet der Tod für den, der ihn stirbt?
Am Leben sein
Über den Tod nachzudenken ist äußerst verwirrend und führt von einer Ratlosigkeit zur nächsten; denn weder können wir uns vorstellen, wie es war, als wir noch nicht existierten, noch wie es sein wird, wenn wir aufgehört haben werden zu existieren. Dieses Faktum biologischen Lebens hat viele Philosophen in tiefste Konfusion gestürzt. Immerhin lässt sich über die Zeitspanne zwischen Anfang und Ende relativ zweifelsfrei sagen: Während wir leben, existieren wir. Und das ist alles andere als trivial. Denn zu dem, was sich von außen als ein chemisches und physikalischesAblaufen bestimmter Stoffwechselvorgänge, Wachstumsprozesse und Muskelkontraktionen ausnimmt, gesellt sich gleichzeitig eine Innensicht aus Selbstwahrnehmungen, Empfindungen, Wünschen, Freuden und Schmerzen.
Auch unsere Subjektivität verdanken wir, wie im vorhergehenden Kapitel bereits angesprochen, biologischen Ursachen, und sie erfüllt lebensbefördernde Funktionen. Die Evolution hat hier etwas in die Welt gebracht, was es vorher nicht gab: sozusagen unzählige Innenwelten. Mit jeder Geburt (oder jedem Heranreifen) entsteht eine weitere solche Innenwelt, um dann irgendwann wieder zu vergehen.[ 8 ]
Es ist also mehr als eine leere Tautologie, wenn man feststellt: Während wir am
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