Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)
Thema der Euthanasie und überhaupt des Todes eines Tiers sieht man übrigens, welches Leiden auch beim Menschen die weit verbreitete, schulterzuckende Behauptung schafft, dass es sich «nur um Tiere» handelt. Viele Tierliebhaber wissen, wie erleichternd es ist, auf andere Tierfreunde zu treffen, die verstehen, dass Trauer um ein Tier auch Trauer ist. Ein Psychoanalytiker, der selbst keinerlei Bezug zu Tierenhat, hat mir einmal erzählt, wie erstaunt er immer wieder war, wie wichtig und für wie lange Zeit bestimmend der Verlust eines Tieres in den Therapiesitzungen seiner Patienten oft war.
Dazu gehört auch ein gewisses Schuldgefühl, bevor man die Euthanasie einleitet. «Und dann sitzt du da mit dem Tier im Käfig, und einerseits wartest du, dass ihr schnell drankommt, und dann denkst du gleichzeitig, so zu denken ist auch irgendwie brutal», sagte eine Freundin. Hinzu kommt das Ungenügen, weil es oft keine angemessene Form des Abschiednehmens gibt. Größere Tiere wie Pferde, Kühe und Schafe kann man nicht einäschern lassen oder auf einem Tierfriedhof bestatten; man muss ihre toten Körper – eigentlich heißt es wohl «Kadaver» – von der Tierkörperverwertung abholen lassen. Dann wartet man auf den Abdecker, der nach einem oder auch erst mehreren Tagen kommt, je nach Auftragslage. Er fährt einen Container-LKW, dessen Gestank an einen mittelalterlichen Pestwagen erinnert, eine große Zange senkt sich herab, hebt den verdrehten, baumelnden Körper des Tieres hoch und lässt ihn zu den vielen anderen in den Container hinab.
Eine Pferdehalterin hatte ihr totes Pferd inmitten vieler Blumen aufgebahrt. Dann kam dieses baggerähnliche Gerät, das Pferd wurde hochgezogen und fiel mit einem lauten Plumps. So etwas anzusehen ist alles andere als leicht. Der Umgang mit dem toten Tier, das man so viele Jahre kannte und bis zu dessen Tod pflegte, ist schlicht würdelos. Wir gehen mit den Tieren und ihren toten Körpern um, als seien sie seelenlos und als liege uns nichts an ihnen. Doch für die meisten Menschen, die mit Tieren privat Umgang haben, stimmt das nicht; wir nehmen Tiere viel ernster, empfinden viel mehr für sie; bloß sind unsere Institutionen und auch unsere Art zu reden dem nicht angepasst.
Euthanasie beim Tier bleibt ein heikles Thema. Aber zeigt das nicht auch, dass wir im Grunde wissen, wie wertvoll dasLeben für ein Tier ist? Und so wirft das Thema Euthanasie auch ein Licht auf unseren eben viel zu sorglosen Umgang mit dem Leben von Tieren, die nicht von einem Menschen geliebt und umsorgt werden. Die meisten Menschen haben große Skrupel, geliebte Tiere zu töten, selbst wenn diese stark leiden. Demnach müsste es eigentlich noch deutlich schlimmer sein, ein Tier zu töten, das jung und gesund ist.
Dennoch scheinen viele Konsumenten zu hoffen, dass es irgendwann gelingen könne, Tiere wirklich gut und artgerecht zu halten; dann dürfe man sie auch bedenkenlos töten und essen. Doch wieso sollte die Tatsache, dass ein Tier gut gelebt hat, uns dazu berechtigen, es zu töten? Wenn wir schon bei der Euthanasie eines leidenden, kranken Tiers ein mulmiges Gefühl haben, wie viel schlimmer sollten wir uns erst dabei fühlen, ein gesundes und zufriedenes Tier aus dem Leben zu reißen!
Zusammenfassung und mehr
Wir neigen dazu, den Tod von Tieren zu übersehen, ihn zu trivialisieren oder zu romantisieren. Wir romantisieren ihn, wenn wir die Frage des Tiere-Tötens dem Bereich der blinden, doch vermeintlich auch irgendwie erhabenen und harmonischen Natur zuschlagen wollen. Auch in der Natur ist ein Tod nichts Schönes – jedenfalls nicht für den, der ihn kommen sieht und erleiden muss. Ebenso ist der industrialisierte Tod, den wir in fabrikähnlichen Schlachthöfen vor den Blicken der Gesellschaft verbergen, trotz Tierschutzgesetz, trotz Betäubung per Elektroschock oder per CO2, von vielen Qualen begleitet, und ihm geht eine Menge Angst voraus. Diese Todesangst der Tiere hat viele «Gesichter», wie die in einem Schlachthof arbeitende Tierärztin Nicole Tschiersche beschreibt.[ 39 ]
Wenn man diese empirischen Aspekte einmal beiseitelässt, stellt sich die Frage: Worin besteht denn eigentlich der Schaden, der einem Wesen entsteht, wenn es stirbt? Schließlich existiert das Subjekt, das sein Leben verlor, nach dem Tod nicht mehr; wurde es ermordet, gibt es nachher keinen Geschädigten mehr, keinen Kläger. Und dieses Paradox, das schlicht unserer Biologie und unserem Leben in der Zeitlichkeit
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