Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)
eine nette Familie mitnahm und ich noch am selben Abend in ein köstliches Naturschnitzel mit goldbraun gebratenen Kartoffeln verwandelt wurde. Als ich dann zufrieden auf meinem bunt verzierten Teller lag und mein aufregendes Leben nochmals Revue passieren ließ, war ich schon etwas stolz, meine Bestimmung so gut erfüllt zu haben.»
Aber auch sich selbst reden die Erwachsenen die Sache gern schön. Zum Beispiel wirbt ein Schweinemastbetrieb, bei dem die Schweine frei herumlaufen, mit seinen angeblichen – oder tatsächlichen – tierfreundlichen Intentionen. «Ich möchte den Konsumenten … mit der Tatsache konfrontieren, dass hinter jedem Fleisch auch ein Tier steckt. Und wenn man dann bei … (uns) seiner Wurst in die Augen guckt, sollte man gedanklich ins Stolpern geraten. Ich will die Kunden wachrütteln und zeigen: Für dieses Stück Fleisch ist ein Tier gestorben.»[ 41 ] Doch die nachträgliche Einsicht allein hilft dem bereits getöteten Tier nichts.
Ähnlich schreibt ein Journalist, der sich für einen Spiegel-Artikel im Internet Wurst von einem bestimmten Schwein bestellte, die er nach dessen Schlachtung zu verzehrenwünschte: «Schwein 2 und ich – wir passen gut zusammen, das merke ich am Schlachttag beim ersten Biss in die Leberwurstsemmel. Sie schmeckt würzig, nicht zu trocken und hat eine angenehme Kümmel-Note. Beim Kauen lasse ich das Leben von Schwein 2 Revue passieren, wie es mich anstupste, wie es roch, im Dreck herumschnüffelte. Wir haben uns zwar im Internet kennengelernt, und doch ist was aus uns geworden.»[ 42 ]
Was für eine Unverschämtheit, Lebewesen, für deren Tötung man bezahlt hat, fiktional wieder sprechen und für die eigene Schlachtung werben zu lassen oder die Begegnung gar als Romanze darzustellen! Gerade die vermeintliche Anerkennung der Lebenslust dieses Tiers, das «schnüffelte» und «anstupste», wird noch als Gewähr dafür angegeben, dass man es töten darf. Jetzt jedenfalls kann das Schwein nicht mehr schnüffeln und stupsen, und auch von der Bewusstheit und Dankbarkeit, die Mäster, Schlachter und Konsument angeblich besitzen, hat es rein gar nichts. Selbst wenn der Kunde mehr als im Supermarkt dafür zahlt – es bleibt Fleisch von einem namenlosen, durchnummerierten, trotz Betäubung brutal ermordeten Wesen, das sein ganzes Leben noch vor sich hatte. Und es hat dieses Leben keineswegs freiwillig aufgegeben,[ 43 ] wie es die putzige Marketing-Sprache dem Gewissen suggeriert.
Fünftes Kapitel
Wie können wir mit Tieren leben?
Müssen wir die Natur vor sich selbst schützen? • Schritte in Richtung einer Umweltethik • Tiere unter uns • Die gewalttätige Gesellschaft • Eine neue Form des Zusammenlebens
Vielleicht erinnert sich die Leserin, der Leser noch, dass ich in der Einleitung dieses Buches etwas gezögert habe, mit welchen Worten ich mich überhaupt auf Tiere beziehen soll. Denn normalerweise bezeichnen wir ein Tier nicht nur als Neutrum – «es», das Tier –, sondern es erscheint auch fast als Sache, als ein «Etwas». Dabei besitzen Tiere doch eigene Gefühle und Wünsche, haben ein subjektives Innenleben, sind also nicht ein «Etwas», sondern eher ein «Jemand».
Das klingt zunächst vielleicht unpassend und unvertraut, und uns gründlich speziesistisch sozialisierten Menschen fallen sofort Einwände ein. Schließlich sind Tiere (oder jedenfalls die allermeisten) keine Jemands in dem erweiterten Sinne, in dem die Philosophie erwachsene, zurechnungsfähige Menschen als Personen definiert. Den Angehörigen der allermeisten anderen Spezies fehlt die Fähigkeit, über sich selbst auf einer Meta-Ebene nachzudenken. Sie stellen sich und einander keine Fragen, wer sie eigentlich sind, worin der Sinn ihres Lebens überhaupt liegt und was die entfernte Zukunft wohl bringen wird. Sie taugen sozusagen nicht als Protagonisten für französische Filme … Doch das disqualifiziert sie nicht gleich fürs Leben insgesamt! Jeder, der einem Tier hinreichend Freiheit lässt, bemerkt rasch, dass sogar die am stärksten verzüchteten Nutztiere Individuen mit Vorlieben und Angewohnheiten (und manchmal enervierend starkem Willen) sind und dass nicht nur dieAngst ums eigene Leben, sondern auch die Freude an natürlichen Verhaltensweisen in ihnen allen steckt.
In diesem Sinne also ist ein Tier sehr wohl ein Jemand. Und ich hoffe, dass diese Sicht auf nicht-menschliche Tiere – ich formuliere es so, weil auch wir Menschen streng genommen Tiere sind – beim Lesen
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