Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)
Tötung, mit der man einem schwer leidenden Tier, dem man zu keinem annehmbaren Leben mehr zurückverhelfen kann, Erleichterung verschaffen will.
Woher kommt nun plötzlich die Formulierung «annehmbares Leben» – klang das Bisherige nicht so, als ob das Leben in jeder Form ein absolutes Gut wäre? Wenn dem so wäre, dann ließe es sich nie gegen andere Güter abwägen, und es könnte nie eine Situation entstehen, in der man einem Tier das Sterben erleichtern sollte. Doch dass das Leben ein solches absolutes Gut wäre, habe ich nicht gesagt; tatsächlich gibt es nichts Derartiges, also kein Gut und auch kein Recht, das nicht unter bestimmten Bedingungen gegen andere Güter oder Rechte abgewogen werden könnte oder müsste.[ 33 ]
Wie sollen wir das aber für jemand anderen entscheiden? Wir können das Tier schließlich nicht befragen, es versteht unsere Auffassungen von Ethik nicht.[ 34 ] Insofern gibt uns die Euthanasiefrage Gelegenheit, ein grundsätzliches Problem der Tierethik aufzugreifen: Wie bestimmen wir überhaupt, was für ein Tier gut ist und worin sein längerfristiges Interesse besteht? Wie können wir das, was ein Tier jetzt will, gegen etwas abwägen, das auf Dauer gut für es ist? Wir packen eine Katze in den Transportkorb, ignorieren ihre Angst – und gehen davon aus, dass Behandlung oder Impfung dennoch in ihrem Interesse sind, so dass unser Zwang gerechtfertigt ist.[ 35 ] Nicht nur im Zusammenhang mit dem Tod, sondernbereits mit dem Leben stellt sich immer wieder die Frage des Paternalismus: Wie lässt sich von außen und mit menschlichen Worten über das Wohl eines Lebewesens entscheiden, das nicht mitreden und menschliche Konzepte von «gut» und «recht» ohnehin nicht verstehen kann?
Auch bei menschlichen Kindern entscheiden wir oft paternalistisch, aber in ihrem Falle können wir zumindest ein späteres Subjekt anvisieren, das unsere Entscheidungen billigen oder nachvollziehen könnte. Mit Kindern kann man ja auch meist verbal kommunizieren: Wir können ihnen viel besser klarmachen, wozu ein Arztbesuch gut ist, als einem Tier, und wir können es auch von dem kleinen Einstich besser mit einer Frage oder einer Geschichte ablenken als ein Tier. Bei verwirrten oder dementen Menschen können wir Patientenverfügungen konsultieren oder, wenn wir die Person in früheren, lichteren Zeiten schon gekannt haben, versuchen, uns an dem zu orientieren, was sie wohl sagen würde. Bei Tieren tappen wir noch viel mehr im Dunkeln.
Doch eigentlich ist bereits die Metapher des Im-Dunkeln-Tappens irreführend. Sie suggeriert nämlich, es liege irgendwo in der Tiefe der tierischen Seele eine Lösung oder korrekte Antwort verborgen, die wir von außen erraten müssten. Das ist aber nicht der Fall. Wenn wir vom Wohl eines Tieres oder seinem Interesse sprechen, sind dies gedankliche Konzepte von uns Menschen, mit deren Hilfe wir auch anderen Wesen gerecht werden wollen. Man könnte solche Konstruktionen anthropozentrisch nennen, insofern sie menschliche Überlegungen sind; aber sie sind nicht in dem Sinne anthropozentrisch, dass wir uns dabei nur für den Menschen interessieren würden. Sie sind also nicht im egoistischen Sinne auf den Menschen orientiert (dass wir also nur überlegten, was
für uns
gut wäre), sondern nur gedanklich (weil
wir
es sind, die überlegen müssen, was für das Tier am besten wäre). In diesem unproblematischen Sinne ist natürlich jede moralische Überlegung anthropozentrisch.[ 36 ]
Wir konstruieren hier also von außen auf paternalistische Weise das mutmaßliche Wohl und das mutmaßliche Interesse eines anderen Lebewesens. Paternalismus heißt hier: ohne ihre ausdrückliche Erlaubnis und manchmal sogar über ihren momentanen Willen hinweg. Denn oft gilt es, kurzfristige gegen längerfristige Wünsche abzuwägen; das zeigt sich bei der zu impfenden Katze wie bei dem Kind, das keine Lust hat, die Zahnspange zu tragen. «Später wirst du uns dankbar sein!», sagen die Eltern (und hoffentlich stimmt es). Ebenso setzen wir uns oft, und zu Recht, über kurzfristige Wünsche eines Tiers hinweg, wenn wir es zum Beispiel impfen lassen und davon ausgehen können, dass die Impfung in seinem Interesse wäre – sprich, dass es zustimmen würde, wenn man ihm verständlich machen könnte, worum es geht.[ 37 ] Das löscht die momentane Angst im Transportkorb und beim Tierarzt natürlich nicht aus, und solche Belastungen müssen ernst genommen und gegen den zu erwartenden Nutzen abgewogen
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