Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)
Fische und Frösche, wenn Gartenteichbesitzer sie dem ursprünglichen Gewässer entnehmen, in einem kleinen Eimer oder gar einer Plastiktüte voll Wasser transportieren und in völlig fremder Umgebung wieder aussetzen? In ihrer früheren Umgebung hatten sie sich zu orientieren gelernt, wussten, wo sich Nahrung finden, ruhen und sich verstecken ließ; sie führten dort ein Leben, das von uns mutwillig durcheinander gebracht wird – eine Art Kidnapping, Todesangst inklusive.
Klingt das zimperlich – klingt es, als ob ich mit der Rücksicht auf Tiere jetzt etwas übertreibe? Aber ist es nicht vielmehr so: Gerade weil Tiere nicht rational erfassen können, wann eine ungewohnte Situation ungefährlich ist, gerade weil sie sprachlichen Argumenten nicht zugänglich sind, wissen sie gar nicht, wie ihnen geschieht – und das löst bei eigentlich allen empfindungsfähigen Lebewesen Angst aus. Gerade weil sie nicht mit dem Verstand gegensteuern können, sind sie ihren biologischen Reaktionsmustern umso stärker ausgesetzt: dem Fluchtimpuls, der Todesangst, der Unsicherheit durch das Unvertraute.
Ich habe eben das Wort «empfindungsfähig» verwendet, und auch an der Karriere dieses Worts kann man die Entwicklung der Tierethik in den vier, fünf Jahrzehnten ihres Bestehens gut ablesen. Ganz zu Beginn sprach man nämlich meist von «leidensfähigen» Tieren, und es ging vorrangig darum, Tieren Leid zu ersparen. Später setzte sich der Begriff «empfindungsfähig» durch. Ein Tier empfindet nicht nur Leid, sondern auch viele weitere negative Emotionen – und ebenso viele positive! Das subjektive Erleben eines (Wirbel-)Tiers ist viel reichhaltiger, als man bei der anfänglichen Fixierung auf den Begriff Leid anzuerkennen in der Lage war. Und kürzlich habe ich ein Wort gelesen, das das Erleben der Tiere noch etwas besser beschreibt: von «erlebensfähigen» Wesen spricht der Berliner Philosoph Bernd Ladwig.[ 1 ] Ich finde, dieses Wort lässt sehr gut zweierlei anklingen: dass es nicht nur um einzelne Gefühlszustände, sondern um ein Leben im Ganzen geht, dass auch etwas Lustvolles dabei ist. Denn wer erlebt, der nimmt auch wahr, bewertet,
will
dieses oder jenes erleben.
Selbst hier könnte man sagen, dass diese drei Begriffe – leidensfähig, empfindungsfähig, erlebensfähig – immer noch den eher rezeptiven Aspekt betonen, dass ein Tier also mit subjektivem Empfinden auf ein äußeres Geschehen reagiert, während wir Menschen uns selbst eher als aktiv beschreiben: als rational, planend, handlungsfähig. Auch Tiere werden von der neueren Verhaltensforschung als rational und problemlösend beschrieben, als Lebewesen, die auf Faktoren ihrer Umwelt reagieren und diese auch umgestalten. In diesem Punkt hat die im vorigen Kapitel beschriebene veterinärmedizinische Tierwohl-Debatte manchen tierethischen Ansätzen insofern etwas voraus, als viele Autoren Tiere weniger als Träger von Lust- und Unlust-Empfindungen ansehen, sondern betonen, dass es sich um Organismen handelt, die auf ihre Umwelt reagieren und Einfluss nehmen müssen – und können.[ 2 ] Sollten wir Tiere also vielleicht nicht allein alsempfindungs- und erlebensfähig, sondern auch als handlungsfähig beschreiben?[ 3 ]
Egal wie die Antwort ausfallen wird, ich hoffe, dass sich das Bild vom Tier von Kapitel zu Kapitel erweitert hat: vom rechtlosen Objekt unserer Handlungen hin zum Subjekt eines Lebens und zum Subjekt eigener Handlungen, das auch das Recht auf Vollzug dieses Lebens und der involvierten Handlungen hat.
Vielleicht fällt noch etwas anderes auf, wenn man auf den Gedankengang der vorhergehenden drei Kapitel zurückblickt: dass eine Menge Fragen nach dem Dürfen und Sollen gestellt wurden, die zumeist mit einem klaren Nein beantwortet wurden. Ich habe dafür plädiert, dass wir, kurz gesagt, unbeteiligte Tiere nicht einfach gefangen halten, ihre Körper manipulieren, in ihre Sozialbeziehungen und ihre arttypischen Verhaltensweisen eingreifen dürfen. Das klingt fast so, als dürften wir gar nichts mehr mit Tieren tun oder zu tun haben, als würden wir uns am besten ganz von ihnen fernhalten und hoffen, dass auch sie sich fernhalten, damit wir ihnen nichts Schlimmes antun. Die Tiere würden dann in irgendeinem fernen Tierreich leben, und wir Menschen nur mit anderen Menschen.
Diese Vorstellung – die ich natürlich nicht vertrete – müsste zwei Einwände provozieren. Erstens kann es wohl nicht Sinn der Sache – also der Tierethik, des Tierschutzes
Weitere Kostenlose Bücher