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Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)

Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)

Titel: Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilal Sezgin
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Reinform gibt. Natur ist ein Sammelbegriff für die Lebensräume anderer Spezies, die wir gleichzeitig als Räume ansehen, die von uns nicht durchgehend oder vorrangig gestaltet werden. Das heißt nicht, dass sie völlig unberührt sind. Aber es wäre unsinnig zu leugnen, dass ein Waldboden, selbst in einem vom Förster gepflegten modernen Mischwald, unendlich viel mehr Eigenleben hat als der versiegelte Asphaltboden in einer Innenstadt, den nur selten ein Löwenzahn oder der Ausläufer eines Ameisenstaats durchbricht.
    Etwas allgemeiner stehen die Worte «Natur» oder «natürlich» für biologische Abläufe des Wachsens, Gedeihens, Verfallens, Vergehens etc., die sich auch ohne menschliches Zutun vollziehen. Auch dies bedeutet nicht, dass sie unserem Zugriff gänzlich entzogen sind; wir versuchen ständig, die biologischen Prozesse des Lebens zu steuern, zu blockieren oder zu überformen. Doch wir haben nicht annähernd volle Kontrolle über sie, das Wachsen und Ersterben ist zu weiten Teilen unverfügbar, es gehorcht nicht unseren Vorstellungen des Rationalen, Sinnvollen, ethisch Guten oder Schönen. Während wir Menschen unsere Umgebung und unser Leben absichtsvoll gestalten, erinnern uns allein schon die verschlungenen Wege der Menschwerdung immer wieder daran, dass hinter der Evolution, auch der unseren, kein Masterplan steht.[ 8 ]
    Die Sphären der Natur und des Menschen sind also empirisch nicht streng voneinander geschieden, aber man kann sie über die unterschiedlichen Prinzipien charakterisieren, die in ihnen vornehmlich herrschen. Und es ist kein Wunder, dass es zwischen beiden oft genug zur Reibung kommt: Die Natur ist unordentlich, unhygienisch, verschwenderisch und nicht gerade zimperlich. Wir Menschen legen – nichtimmer, aber oft – an unser Tun Kriterien wie «vernünftig», «schön» und «moralisch» an. Durch diese Brille schauen wir auf die Geschöpfe der Natur und stellen fest, dass sie sich ganz anders verhalten, als wir das von gesitteten Wesen erwarten!
    Tiere benehmen sich sogar noch viel öfter daneben, als manchem klar ist. Es geht ja nicht nur um die Schlupfwespe und den Löwen. Irgendwann einmal hat sich ein Philosoph anscheinend an die Existenz von Raubtieren erinnert, und seither geistert der die Antilope reißende Löwe durch alle Aufsätze zu
policing nature.
Aber es bleibt eben nicht beim Löwen: Zu den unendlich vielen Raubtieren zählen auch kleinere heimische Sympathieträger wie Eulen oder Igel. Kürzlich las ich irgendwo, dass Maulwürfe Regenwürmern den Kopf abbeißen, um sie in ihren unterirdischen Vorratskammern reglos, aber am Leben und frisch zu erhalten. Zudem gibt es die Parasiten: Einige Fliegen legen ihre Eier in die Fleischwunden von Wirbeltieren, bis ihre Larven ihre Wirte praktisch bei lebendigem Leib auffressen. Auch die toxischen Stoffwechselprodukte von Darmparasiten vergiften ihre Wirte schleichend.
    Zudem tun Tiere nicht nur Angehörigen
anderer
Spezies Leid an, Gewalt herrscht auch unter Angehörigen derselben Art. Die Weise, wie zum Beispiel Enten (Erpel) oder Koalas Sex haben, fällt nach menschlichen Maßstäben unter Vergewaltigung. Die Männchen anderer Tierarten tragen miteinander blutige Konkurrenzkämpfe aus, wie die so breitmäulig-behäbig wirkenden Nilpferde; manche Haie fressen ihre Brüder und Schwestern schon im Mutterleib. Storcheneltern werfen bei schlechter Futterlage schwächere Zöglinge aus dem Nest, und von dem üblen Betragen des Kuckucks gegenüber seinen Stiefgeschwistern wollen wir gar nicht erst sprechen. Wollen wir uns neben jedes Nest stellen, um dafür zu sorgen, dass in Vogelfamilien keine Gewalt ausbricht? Sollen wir versuchen, alle parasitär lebenden Insekten zuvernichten – ungeachtet aller möglichen ökologischen Nebenfolgen sowie der Tatsache, dass es bis heute anscheinend nicht gelungen ist, auch nur eine einzige gefährliche Insektenspezies gezielt auszurotten?[ 9 ]
    Tatsächlich gibt es Menschen, auch einige Tierethiker, die meinen, wir müssten die gesamte Welt technisch und gentechnisch ummodeln, um allem Leid vorzubeugen.[ 10 ] Doch zum Beispiel gegen Parasiten ankämpfen zu wollen, auf deren Konto viele der größten Grausamkeiten der Natur gehen, wäre wie ein Kampf gegen die Schwerkraft. Wie der Stadtökologe Bernhard Kegel schreibt, sind die «Körper von Organismen neben Land und Wasser der drittgrößte Lebensraum, den die Erde zu bieten hat».[ 11 ] Lebende Körper sind zumeist warm und bieten Futter

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