Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)

Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)

Titel: Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilal Sezgin
Vom Netzwerk:
und überhaupt des Interesses am Tier – sein, gar nichts mehr mit Tieren zu tun zu haben. Manchmal erheben passionierte Fleischesser den Vorwurf, Vegetarier und Veganer wollten wohl alle Kühe, Schweine und Hühner abschaffen. Das ist ein Missverständnis. Tierrechtler sind natürlich nicht gegen Tiere, sondern vielmehr für einen anderen, gleichberechtigten Umgang mit ihnen. Außerdem ließe sich eine vollständige Trennung von menschlichen und tierischen Lebensräumen gar nicht realisieren, man denke nur an Mäuse im Haus, Vögel im Garten und Füchse in der Stadt. Zweitens haben esdie Tiere ohne uns, also in der «freien Natur», auch nicht immer gut. Auch das Leben «da draußen» ist keine Idylle, und wer Freiheit für die Tiere fordert, läuft manchmal Gefahr, das zu idealisieren.
Müssen wir die Natur vor sich selbst schützen?
    Ich gehe beiden Einwänden in umgekehrter Reihenfolge nach und beginne mit den wild lebenden Tieren in der Natur. Wie geht es denen? Ein Tod im Schlachthaus ist schlimm, aber von einem Löwen zerrissen zu werden, ist auch nicht schön. Das Leben in heutigen Ställen mag miserabel sein, aber in der Wildnis warten Hunger, Dürre, Kälte, Hitze, Feinde, Kämpfe …
    Zudem gibt es noch einige besonders unangenehme Arten, solche, die mit anderen Tieren ähnlich grausam verfahren wie wir bei unseren Tierversuchen. Bereits Charles Darwin – in dessen Zeitalter das Erschrecken über die Grausamkeit der Natur noch eine religiöse Färbung annahm – schrieb: «Ich kann mich einfach nicht zu der Überzeugung durchringen, dass ein gütiger und allmächtiger Gott die Schlupfwespen erschaffen hätte, mit der bewussten Absicht, dass sie sich von den lebenden Körpern von Raupen ernähren, oder dass [er beabsichtigt hätte, dass] eine Katze mit Mäusen spielt.»[ 4 ] Etliche Tier- und Naturforscher vor und nach Darwin haben sein Entsetzen geteilt.[ 5 ]
    Wenn wir Tierrechte ernst nehmen, müssten wir also vielleicht Schutztrupps organisieren, um Antilopen vor Löwen zu schützen (und die Löwen dann mit Tofu füttern), und Pestizidflugzeuge gegen Schlupfwespen aussenden? Solche Fragen wurden insbesondere in den Anfangsjahren der Tierethik oft polemisch gegen die Idee von Tierrechten eingesetzt; inzwischen aber beschäftigen sie einige Tierethiker mitvollem Ernst, und nicht ganz unverständlicherweise. Wenn Tiere Rechte haben, müssen wir diese Rechte dann auch schützen, wenn sie durch andere verletzt werden als durch Menschen?[ 6 ] Man bezeichnet diese Debatte mit den Schlagwörtern
policing nature
oder
intervention.
Die Natur wäre demnach kein per se schützenswerter oder heiler Raum, sondern müsste von uns quasi polizeilich überwacht werden, wir müssten in sie eingreifen.
    Nun ist «Natur» ohnehin ein schwieriger Begriff.[ 7 ] Wo fängt das Natürliche an, wo hört das Künstliche auf? Ein Baum, der in einem fernen Kontinent zur üblichen Flora und damit zur Natur gehört, wird zur Garten- oder Kulturpflanze, sobald wir ihn ausgraben und in einen hiesigen Garten setzen. Und ist nicht ohnehin fast alles, was wir zum Beispiel in Europa als Natur kennen, samt Wald und Wiesen, Kulturlandschaft? Ist der Mensch nicht fast überall auf dem Erdball gewesen und hat seinen Fußabdruck hinterlassen, und sei es nur den ökologischen? Wie soll man Natur und Zivilisation überhaupt trennen, wenn sie sich doch offensichtlich überlappen, zum Beispiel bei dem Fuchs in Berlin, der Naturkind und Städter zugleich ist?
    Politisch und praktisch reden wir zwar viel von Natur, vor allem beim Naturschutz, aber in der Philosophie ist der Begriff etwas unbeliebt, seit allzu deutlich geworden ist, dass Natur und Zivilisation (oder Kultur, oder Stadt) keine vollständig voneinander getrennten Sphären sind. Dennoch denke ich, dass es verfrüht wäre, den Begriff der Natur gleich ganz über Bord zu werfen. Schließlich lassen sich viele Begriffe nicht trennscharf von anderen abgrenzen, nicht einmal von ihrem Gegenteil. Zum Beispiel kann man sagen: «Das ist eine harte Matratze», und «Das ist weiches Holz». Natürlich ist das entsprechende Holz härter als die Matratze, aber jeder weiß, was mit beiden Sätzen ausgesagt wird. Hart und weich sind sinnvolle Begriffe, obwohl diese Eigenschaften nicht absolut, sondern relativ sind.
    Und so ist es auch mit der Natur und ihrem Gegenpart Kultur oder menschliche Zivilisation: Diese Begriffe beschreiben Pole auf einer Skala, die sinnvoll ist, auch wenn es die Pole nicht in

Weitere Kostenlose Bücher