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Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)

Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)

Titel: Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilal Sezgin
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ein, um erneut anzusteigen. An welcher Stelle soll man hier einen Schnitt machen um zu sagen, welche Tiere in einem zu bebauenden Gebiet nun exakt leben, auf die wir Rücksicht zu nehmen haben: Meinen wir die Tiere im Jahr der Planung, zu Beginn der Bauarbeiten oder bei der Inbetriebnahme?
    Naheliegend wäre in solchen Fällen die Überlegung, Kompensationen zu schaffen. Zum Beispiel könnten wir, wenn wir es Tieren mit einer bestimmten baulichen Maßnahme schwerer machen, an anderer Stelle besonders auf sie Rücksicht nehmen; oder wir könnten ihnen zum Ersatz andere Flächen und Lebensräume geben, zum Beispiel solche, die wir derzeit mit Massentierhaltung belegen. Hier wird eine Straße gebaut, dort eine Wiese unter Naturschutz gestellt. Wenn wir die enormen Flächen, die wir für den Futtermittelanbau unserer unglücklichen Nutztiere brauchen, weniger intensiv oder teils gar nicht nutzten, würden zahlreiche Arten und Individuen zurückkehren, denn die größte Ursache für den Rückgang der Insekten- und Vogelwelt ist nach wie vor die Landwirtschaft.
    Doch können wir geschädigte Tiere auf diese Weise wirklich für etwas entschädigen?[ 22 ] Dafür müsste man streng genommen genau denjenigen Tieren Wiedergutmachung leisten, deren Bauten und Nester etc. man zerstört hat bzw. die umgekommen sind. Doch den Igel, den der Bagger überfuhr, können wir nicht entschädigen. Wir können höchstens sicherstellen, dass Igel anderswo unbehelligt leben – aber
andere
Igel! Es hilft dem hiesigen Igel nicht, wenn ein anderesLebewesen, von dem er gar nichts weiß und das zufällig ein weitgehend identisches Erbgut trägt, eine «Kompensation» erhält.[ 23 ] Im Gegenteil, manche Tiere meiden ihre Artgenossen. Ein Igel lebt in einem Garten mit Wühlmäusen und Käfern bestens zusammen, vertreibt aber einen anderen Igel ungnädig. Insofern handelt es sich nicht um eine wirkliche Kompensation, und «Spezies» oder «die Igelpopulation in dem Gebiet xy» sind keine adäquaten moralischen Bezugsgrößen.[ 24 ]
    Dennoch haben wir eine Verantwortung: Schließlich wissen wir,
dass
es Leidtragende geben wird – bloß nicht, wie viele und wer sie sind. Anscheinend gilt unsere Sorge und Rücksichtnahme (oder Rücksichtlosigkeit) also Gruppen
unbestimmter
anderer, deren Existenz allerdings gewiss ist. Es ist keine Spekulation, dass irgendwer von unseren Handlungen beeinflusst – und vermutlich negativ beeinflusst – werden wird. Insofern ist abzusehen, dass Unbeteiligte zu Schaden kommen werden und wir ihre Rechte verletzen. Wir können in etwa abwägen: Was steht bei uns auf dem Spiel, was bedeutet es für diese «ungefähren» anderen?
    Dieses Problem taucht nicht nur im Kontext der Tierethik auf, sondern auch unter Menschen. Wenn jemand ein Fahrrad stiehlt, weiß er nicht, wer sich über den Verlust ärgern wird – aber irgendjemand wird es halt sein! Wenn jemand giftige Abfallstoffe über Äckern ausbringt oder vergammelte Ware in Umlauf bringt, sind dies Verbrechen, obwohl keiner weiß, wie viele Menschen (und Tiere) beeinträchtigt werden. Wenn Firmen Umweltgifte in Gewässer leiten, gehen wir davon aus, dass sie damit Menschen schädigen – ohne sagen zu können, welche und wie viele. Ähnlich ist es, wenn Fischer ihre alten Netze im Meer treiben lassen oder Gärtner gewässerschädigende Herbizide ausbringen, weil sich irgendeine Pflanze dort stark ausgebreitet hat, wo doch ihrer Meinung nach eine andere blühen sollte. Irgendwelche Tiere werden gewiss darunter leiden.
    Man kann also die Lebensbedingungen anderer empfindungs- oder erlebensfähiger Individuen verschärfen oder zunichte machen, ohne die Geschädigten genau benennen zu können. Diese sind oft ein unübersichtliches Sammelsurium von Angehörigen unterschiedlicher Arten, mit unterschiedlichen Bedürfnissen. Es geht mehr um den Lebensraum mitsamt all seinen Bewohnern. Während diese stark fluktuieren, keine politische Gemeinschaft bilden und auch nicht, wie wir es vereinfachend in der Schule gelernt haben, gemeinsam ein «Ökosystem mit stabilem Gleichgewicht» darstellen. Es handelt sich um Lebensräume ohne einigendes Prinzip oder gemeinsamen Sprecher.
    Hier berührt sich die tierethische Frage mit Fragen der Umwelt- oder Ökoethik, denn wir müssen uns in spätkapitalistischen Zeiten ohnehin irgendwie der generellen Frage stellen, wie viel von dieser Erde, dem möglichen Lebensraum und den Ressourcen wir für uns in Anspruch nehmen können (ohne dass «die

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