Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)
hervor, bei ihnen müssten die Tiere nicht in ihrem eigenen Kot stehen. Der Kotelett-Käufer mitten in Berlin sagt, er wisse wohl, dass das ganze System nicht gut ist, aber er kaufe immerhin «nur beim Bauern um die Ecke», um eine bessere Landwirtschaft zu unterstützen. Der Bauer um die Ecke, also zum Beispiel der Betreiber eines Stalls von Bio-Legehennen, sagt, er arbeite an der Züchtung eines Zweinutzungshuhns und bei ihm hätten die Hühner Auslauf. Der Betreiber einer Anlage mit konventioneller Kleingruppenhaltung meint dagegen, seinen Hühnern gehe es besser, sie hätten nämlich weniger Sozialstress als bei Freilandhaltung. Der hiesige Schäfer liebt seine Tiere; damit sie weniger Stress haben, fährt er die Lämmer selbst zu einem nahegelegenen Schlachthof. Die Metzgerinnung warb kürzlich mit dem Slogan, sie liebte Tiere; demnach ist es besser, wenn die Tiere von tierlieben Menschen getötet werden als von Sadisten. Ein Metzger, der einmal von dem Magazin
Chrismon
interviewt wurde, sagte, er habe durchaus Mitleid mit den Tieren, und es mache ihn wütend, wenn Fleisch weggeworfen würde.[ 50 ] Jeder meint, es ethisch ein bisschen besser zu machen als andere; leider addieren sich diese kleinen Portionen des Besser-Machens für die Tiere nicht zu einem «Gut».
Einmal sprach ich auf einer Landwirtschaftsmesse mit zwei Herren, die Hühnerfangmaschinen verkauften; das sind traktorgroße Gefährte, die die Masthühner mit rotierenden Bürsten einwirbeln und über Transportbänder auf den LKW zur Schlachtung packen. Diese Männer erklärten mir, dass sie Tests angestellt hätten: Ihre Maschine verursacheden Hühnern weniger Knochenbrüche als das Einfangen von Hand. Allerdings könne man die Maschine schneller laufen lassen, räumten sie ein, dann sei der Vorgang brutaler – aber dafür könne der Hersteller nichts! (Die Anwender der Maschinen sind schuld.) Ich fragte die Männer, ob sie tatsächlich glaubten, dass es die Hühner bei ihrer letzten Fahrt in den 23 Zentimeter hohen Transportkäfigen gut hätten. Das wohl nicht, sagten sie, aber die Käfiggrößen würden von den EU-Normen vorgegeben. (Die EU ist schuld.) Das Gespräch wurde ruhiger, nachdenklicher, fast persönlich; die beiden sagten, dass sie das gesamte bisherige System der intensiven Hühnermast nicht gut fänden. Ihre Firma hätte Versuche gemacht mit Freilaufmast; die Brustmuskulatur dieser Hühner sei dann aber weniger ausgebildet und das Fleisch stärker durchblutet, also von intensiverem Rot gewesen. Die Konsumenten nahmen es nicht an, sie wollten nun mal leider helles Brustfleisch. (Die Konsumenten sind schuld.) – Und ich gehe jede Wette ein, dass der Konsument sagt: Es gibt leider nichts anderes zu kaufen. (Die Landwirte sind schuld.)
Es gibt eine soziologische Erklärung für dieses Phänomen, und die lautet zum Beispiel bei dem Soziologen Harald Welzer: «Eigenverantwortung wird durch lange Handlungsketten, die immer nur partikulare Verantwortlichkeit zulassen, unterminiert, weshalb die meisten Handlungszusammenhänge in modernen Gesellschaften von systematischer Verantwortungslosigkeit beherrscht sind und umgekehrt ein Gefühl der persönlichen Verantwortung für das, was am Ende einer Handlungskette herauskommt, kaum entwickelt werden kann.»[ 51 ] Jeder ist also nur ein so kleines Rad im Getriebe, dass der eigene Beitrag zu dem Unrecht, das damit insgesamt angerichtet oder institutionalisiert wird, nicht abzusehen ist. Dazu kommen natürlich psychologische Rationalisierungsleistungen, die dem Einzelnen ermöglichen, seinen Beitrag in relativ günstigem Licht zu sehen: «Besserich mache es, als ein anderer. Denn ich mache es immerhin ein bisschen humaner.»
Doch um ein bekanntes philosophisches Beispiel ein wenig abzuwandeln: Denken wir an hundert Menschen, denen ein Gefangener vorgeführt wird; sie sollen ihm je einen starken Peitschenhieb versetzen. Jeder der hundert lehnt das ab und versetzt dem Gefangenen nur einen leichteren Hieb. Das Ergebnis ist dasselbe: Der Gefangene wird ausgepeitscht, und sein Rücken blutet. Ebenso bei den Tieren in der Landwirtschaft: Auch wenn es alle beteiligten Menschen «etwas besser» machen, die Kette der Handlungen reißt nicht ab, solange der Landwirt züchtet und mästet, der Schlachter schlachtet und der Kunde kauft.
Ähnlich wie übrigens auch viele andere Ungerechtigkeiten der kompliziert verflochtenen globalisierten Wirtschaft zeigt uns die Gewalt gegen Tiere, dass wir oft nicht nur
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