Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)
Private auch hier politisch ist; dass der Markt mitbestimmt, was wir essen, kaufen, wovon wir träumen, was sich gut anfühlt, wer wir sind. Kritische Konsumenten erkennen, dass es nötig und möglich ist, hier Macht über das eigene Leben zurückzugewinnen. In leicht marxistisch gefärbter Terminologie gesagt: Der Kapitalismus produziert eben nicht nur Waren, er produziert auch Bedürfnisse. UndSeinsweisen. Die aber können wir teilweise ändern: Echte Männer müssen nicht am Grill stehen und Steaks wenden, und Mutterliebe definiert sich nicht über das Austeilen von
Kinder Pingui
oder
Toffifee.
Erotik besteht nicht darin, dass wir uns mit einem Milcheis in der Badewanne räkeln, und es ist nicht Höhepunkt sommerlicher Ausflüge, Wurstbrote oder in Plastik verschweißte Fleischsalate zu verzehren.
In anderen Bereichen kommt die Macht der Konsumenten rascher an ein Ende, zum Beispiel bei Medikamenten und den dafür nach wie vor üblichen und vorgeschriebenen Versuchen. Hier wäre es zu viel verlangt zu sagen, wir sollten solche Medikamente nicht einnehmen, zumal es meist noch keine Alternativen gibt. Hier gibt es nur wenige Möglichkeit zum Konsumenteneinfluss über Kaufen, Nicht-Kaufen und Firmen-Protestbriefe. Hier muss der Weg über die Politik gehen, über klassische Vereins- und Aufklärungsarbeit.
Um eine weniger gewalttätige Gesellschaft zu schaffen, müssen wir also neue Formen des Produzierens, des Konsumierens, auch des Genießens finden. In manchen Bereichen wirken die Konsequenzen auf den ersten Blick ganz schön radikal. Doch viele Konsequenzen scheinen ja nur so radikal, weil wir in den letzten Jahrtausenden, verschärft (industrialisiert/systematisiert) dann in den letzten Jahrhunderten ein sehr umfassendes, sehr engmaschiges und sehr grausames System der Tierbenutzung entwickelt haben – und dazu jede Menge rationalisierender, ideologisierender und psychologischer Rechtfertigungen, die vieles normal erscheinen lassen, was diese Bezeichnung nicht verdient. Wenn man bei einer öffentlichen Diskussion oder an einem veganen Infostand in der Fußgängerzone mit Interessierten ins Gespräch kommt, ist es aufschlussreich, einmal zu fragen, wie viele Hühner ihrer Meinung nach jedes Jahr in Deutschland geschlachtet werden. Viele Menschen nennen Zahlen unter einer Million! Manche tasten sich zaghaft hoch zu drei oder vier Millionen,und einmal sprach ich mit einem Mann, der nach längerem Nachdenken meinte, es seien vielleicht gar zwanzig Millionen. Doch tatsächlich sind es über 600 Millionen – allein in Deutschland, jedes Jahr.[ 52 ]
Weltweit haben wir im Jahr 2011 laut der Statistik der Food and Agriculture Organization of the United Nations 65 Milliarden 525 Millionen Tiere geschlachtet. (Diese Statistik enthält nur Landwirbeltiere, die geschlachtet wurden, also nicht die erjagten Tiere und keine Fische, die nochmals in die Abermilliarden gehen.)[ 53 ] Falls es zur Veranschaulichung irgendwie hilft: In den dreißig größten Kriegen der Menschheit sind insgesamt etwa 600 Millionen Menschen umgekommen.[ 54 ] Jemals auf der Erde gelebt haben seit der Steinzeit gut 100 Milliarden Menschen.[ 55 ] Wir schlachten in anderthalb Jahren mehr Tiere, als je Menschen auf der Welt gelebt haben. Was ist in diesem Zusammenhang also radikal: Das Plädoyer für ein Ende des Gemetzels – oder das Gemetzel?
Man sollte sich von solchen Zahlen erschrecken, aber nicht abschrecken lassen. Natürlich kann da das Gefühl aufkommen, man könne als Einzelner nichts tun. Aber das gilt bei fast allem außer beim Zähneputzen oder dem Rechen des eigenen Rasens. Bei sieben Milliarden Menschen fällt ein Einzelner nicht stark ins Gewicht, egal in welchem Zusammenhang. Die Beendigung (oder die Verminderung) des Unrechts an Tieren ist ein moralisches Projekt und ein politisches; es gibt Handlungsspielräume für den Einzelnen, anderes geht nur gemeinsam. Es sind viele Einzelne, die einen Bewusstseinswandel anstoßen; und dieser Bewusstseinswandel erleichtert dann auch wieder ihnen selbst, nach den neuen Grundsätzen zu leben. Heute zum Beispiel sagen viele Menschen: «Ich finde Massentierhaltung auch schlimm, aber ich
kann
nicht auf Fleisch verzichten.» Wirklich nicht? Donald und Kymlicka meinen, vielleicht werde man einst dem Verzehr von Tierfleisch so wenig hinterherweinen, wie wir heute dem Kannibalismus der Ururahnen nachtrauern.[ 56 ]
Klingt das verrückt? Aber verrückt erscheint es doch nur im Verhältnis zu dem,
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