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Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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Unterschied ist?«, schreit er. Es ist ihm gleichgültig, ob seine Schwester ruht, ob der kleine Oscar Arthur sein Mittagsschläfchen hält, ob das Dienstmädchen an der Tür lauscht. »Das ist ein himmelweiter Unterschied! Es ist der Unterschied zwischen Unschuld und Schuld, das ist es.«
    »Da bin ich anderer Meinung, Arthur. Was du denkst, ist das eine, und was die Welt denkt das andere. Was du glaubst, ist das eine, und was die Welt glaubt das andere. Was du weißt, ist das eine, und was die Welt weiß das andere. Ehre ist nicht nur eine Angelegenheit des inneren Wohlgefühls, sondern auch des äußeren Verhaltens.«
    »Ich lasse mir keine Vorträge über Ehre halten«, brüllt Arthur. »Das lasse ich mir nicht bieten. Das lasse ich mir nicht bieten. Und schon gar nicht von einem Mann, der sich einen Dieb als Helden aussucht.«
    Er nimmt seinen Hut vom Haken und drückt ihn sich bis auf die Ohren hinunter. So, das wäre erledigt, denkt er, das wäre erledigt. Die Welt ist entweder für dich oder gegen dich. Und es schafft zumindest Klarheit, wenn man sieht, wie ein kleinkarierter Ankläger sein Geschäft versieht.
    Trotz dieser Missbilligung – oder vielleicht auch zum Beweis, wie falsch sie ist – beginnt Arthur, Jean ganz behutsam in das gesellschaftliche Leben von Undershaw einzuführen. Er habe in London die Bekanntschaft einer reizenden Familie gemacht, die Leckie heiße und einen Landsitz in Crowborough habe; Malcolm Leckie, der Sohn, sei ein prächtiger Bursche mit einer Schwester namens – wie hieß sie noch gleich? Und so taucht Jeans Name in den Gästebüchern von Undershaw auf, immer neben dem ihres Bruders oder denen ihrer Eltern. Ganz wohl ist Arthur nicht, wenn er Sätze sagt wie: »Vielleicht kommt Malcolm Leckie noch mit seiner Schwester im Automobil herüber«, aber diese Sätze müssen gesagt werden, wenn er nicht wahnsinnig werden will. Und er weiß bei solchen Gelegenheiten – großen Einladungen zum Mittagessen, Tennisnachmittagen – nie so recht, ob er sich natürlich verhält. Hat er sich allzu aufmerksam um Touie gekümmert, und hat sie das gemerkt? War er Jean gegenüber zu steif und korrekt, und ist sie womöglich gekränkt? Doch dieses Problem muss er mit sich allein ausmachen. Touie lässt nie erkennen, dass sie irgendetwas nicht in Ordnung findet. Und Jean, die Gute, benimmt sich mit einer Ungezwungenheit und Schicklichkeit, die ihm beruhigend versichert, dass alles gut gehen wird. Sie versucht nie, mit ihm allein zu sein, steckt ihm nie ein Liebesbriefchen zu. Zwar hat er mitunter das Gefühl, sie flirte demonstrativ mit ihm. Doch wenn er später darüber nachdenkt, kommt er zu dem Schluss, dass sie sich mit Absicht so verhält, als würden sie sich nicht näher kennen. Vielleicht beweist man einer Frau am besten, dass man ihr nicht den Ehemann ausspannen will, wenn man vor ihren Augen mit ihm flirtet. Das wäre bemerkenswert klug gedacht.
    Und zweimal im Jahr können sie zusammen nach Masongill entfliehen. Sie treffen mit getrennten Zügen ein und fahren getrennt wieder ab, wie Wochenendgäste, die sich zufällig zur selben Zeit dort aufhalten. Arthur wohnt im Cottage seiner Mutter, während Jean bei Mr und Mrs Denny auf dem Parr Bank Hof untergebracht wird. Am Samstag essen sie in Masongill House zu Abend. Die Mama sitzt Wallers Tafel vor, wie sie es immer tat und wohl auch immer tun wird.
    Nur ist jetzt alles nicht mehr so einfach wie damals, als die Mama hier herzog – nicht, dass es jemals einfach gewesen wäre. Denn Waller hat es irgendwie geschafft zu heiraten. Miss Ada Anderson, die Tochter eines Geistlichen aus St. Andrews, war als Gouvernante in das Pfarrhaus von Thornton gekommen und hatte, wie der Dorfklatsch behauptet, umgehend ein Auge auf den Herrn von Masongill House geworfen. Es gelang ihr auch, ihn zu heiraten, nur musste sie dann feststellen – und hier machte sich der Klatsch zum Hüter der Moral –, dass sie ihn nicht ändern konnte. Der frischgebackene Ehemann hatte nämlich nicht die Absicht, sich allein durch den Ehestand von seiner gewohnten Lebensweise abbringen zu lassen. Genauer gesagt: Er besucht die Mama so häufig wie eh und je; er speist mit ihr en tête-à-tête ; und er hat an der Hintertür ihres Cottage eine besondere Glocke anbringen lassen, die nur er allein läuten darf. Aus der Ehe der Wallers gehen keine Kinder hervor.
    Mrs Waller setzt nie einen Fuß in das Masongill Cottage und entfernt sich, wenn die Mama zum Abendessen ins Haus

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