Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
Vom Netzwerk:
durchweg negativ. Er sei, erklärt er, bedauerlicherweise kein beratender Detektiv, wie er auch kein englischer Bogenschütze aus dem vierzehnten Jahrhundert und kein fescher Kavallerieoffizier im Dienste Napoleon Bonapartes sei.
    Darum hat Wood das Edalji-Dossier ohne große Erwartungen herausgelegt. Diesmal jedoch vergeht keine Stunde, bis Sir Arthur wieder im Büro seines Sekretärs steht, wobei er schon tobend zur Tür hereinplatzt.
    »Der Fall ist sonnenklar«, zürnt er. »Der Bursche ist so unschuldig wie Ihre Schreibmaschine. Ich bitte Sie, Woodie! Das ist doch ein Witz. Das Geheimnis des verschlossenen Zimmers unter umgekehrten Vorzeichen – nicht, wie kommt er hinein, sondern wie kommt er heraus? Das schreit ja zum Himmel.«
    So aufgebracht hat Wood seinen Brotherrn seit Monaten nicht gesehen. »Sie wünschen, dass ich antworte?«
    »Antworten? Ich werde mehr tun als antworten. Ich werde Krawall schlagen. Ich werde ein paar Leuten den Kopf zurechtrücken. Die werden es noch bereuen, dass einem Unschuldigen das passieren konnte.«
    Wood versteht noch nicht recht, wer diese »Leute« sind und was »das« ist, das da »passieren konnte«. Für ihn sah das Gesuch des Bittstellers bis auf einen seltsamen Nachnamen nicht viel anders aus als Dutzende von anderen angeblichen Fehlurteilen, die Sir Arthur im Alleingang aufheben soll. Doch Recht und Unrecht des Falles Edalji kümmern Wood in dem Moment herzlich wenig. Er ist nur erleichtert, dass sein Brotherr offenbar von einer Stunde zur anderen die Lethargie und Verzagtheit abgeschüttelt hat, die ihn seit Monaten befallen hatte.
    George hat in einem Begleitschreiben erläutert, in welch ungewöhnlicher Situation er sich befindet. Seine bedingte Entlassung in die Freiheit wurde von dem früheren Innenminister Mr Akers-Douglas verfügt und von dem gegenwärtigen, Mr Herbert Gladstone, ausgeführt; doch keiner von beiden hat eine offizielle Begründung dafür gegeben. Weder wurde das Urteil gegen ihn aufgehoben, noch eine Entschuldigung für seine Inhaftierung zum Ausdruck gebracht. Eine Zeitung ließ, zweifellos nach einem konspirativen Essen mit einem sich in Andeutungen ergehenden Beamten, ungeniert verlauten, das Innenministerium sei von der Schuld des Gefangenen überzeugt, habe ihn aber freigelassen, weil man drei Jahre als angemessene Strafe für das betreffende Verbrechen ansehe. Sir Reginald Hardy habe auf sieben Jahre erkannt und es dabei mit der Verteidigung der Ehre von Staffordshire ein klein wenig übertrieben; der Innenminister habe lediglich diesen Überschwang korrigiert.
    Das alles stürzt George moralisch in Verzweiflung und praktisch in Ungewissheit. Hält man ihn für schuldig oder nicht? Will man sich für seine Verurteilung entschuldigen oder sie bestätigen? Solange sie nicht aus dem Strafregister gestrichen ist, kann er nicht wieder als Anwalt zugelassen werden. Vielleicht erwartet das Ministerium, dass er seine Erleichterung durch Stillschweigen beweist und seine Dankbarkeit dadurch, dass er sich in einen anderen Beruf fortstiehlt, vorzugsweise in den Kolonien. Doch Georges einziger Halt im Gefängnis war der Gedanke, die Hoffnung, er könne – irgendwie, irgendwo – seine Arbeit als Solicitor wieder aufnehmen; und auch seine Unterstützer haben angesichts des bisher Erreichten keinerlei Absicht aufzugeben. Ein Freund Mr Yelvertons hat George eine zeitweilige Anstellung in seiner Kanzlei verschafft, aber das ist keine Lösung. Die Lösung kann allein vom Innenministerium kommen.
    Arthur verspätet sich zu dem vereinbarten Termin mit George Edalji im Grand Hotel, Charing Cross; Bankgeschäfte haben ihn aufgehalten. Nun betritt er eilends die Hotelhalle und schaut sich um. Sein wartender Gast ist nicht schwer zu erkennen: Das einzige braune Gesicht weit und breit befindet sich etwa vier Meter von ihm entfernt und wendet ihm das Profil zu. Arthur will schon auf ihn zugehen und sich entschuldigen, als ihn etwas innehalten lässt. Vielleicht schickt es sich nicht für einen Gentleman, andere unerlaubt zu beobachten; doch er war nicht umsonst einmal der Ambulanz-Sekretär von Dr. Joseph Bell.
    Also: Der erste Augenschein ergibt, dass er sich mit einem Mann treffen wird, der klein, schmächtig und von asiatischer Herkunft ist; sein Haar ist auf der linken Seite gescheitelt und kurz geschnitten; er trägt die gut sitzende, dezente Kleidung eines Provinzanwalts. Alles unbestreitbar wahr, aber kaum damit zu vergleichen, dass man aus dem Stand einen

Weitere Kostenlose Bücher