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Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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allgemeines Lebensprinzip annehme, dass die Menschen, mit denen ich Umgang habe, mich insgeheim ablehnen. Und zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es nicht zweckmäßig, mir einzureden, das Innenministerium müsse sich nur überzeugen lassen, dass der ganze Fall auf Rassenvorurteilen beruht, dann bekäme ich meine Begnadigung und die von Ihnen erwähnte Entschädigung. Oder glauben Sie vielleicht, Sir Arthur, Mr Gladstone sei selbst in solchen Vorurteilen befangen?«
    »Dafür habe ich absolut keine … Beweise. Ja, ich bezweifle es sehr.«
    »Dann lassen Sie uns bitte nicht weiter über dieses Thema reden.«
    »Nun gut.« Diese Bestimmtheit – ja, Halsstarrigkeit – imponiert Arthur. »Ich würde gern Ihre Eltern kennenlernen. Und auch Ihre Schwester. Aber diskret. Von Natur aus gehe ich immer den direkten Weg, doch manchmal ist Taktik und sogar Bluff erforderlich. Wie Lionel Amery immer sagt, wer mit einem Rhinozeros kämpft, sollte sich kein Horn auf die Nase binden.« Dieser Vergleich ist George ein Rätsel, was Arthur jedoch nicht bemerkt. »Ich bezweifle, ob es unserer Sache dienlich ist, wenn jeder sieht, wie ich mit Ihnen oder jemandem aus Ihrer Familie im ganzen Bezirk herumspaziere. Ich brauche eine Kontaktperson, einen Bekannten im Dorf. Vielleicht können Sie einen Vorschlag machen.«
    »Harry Charlesworth«, antwortet George automatisch, als hätte er Großtante Stoneham oder Greenway und Stentson vor sich. »Wir haben in der Schule nebeneinandergesessen. Ich habe immer so getan, als wäre er mein Freund. Wir beide waren die Intelligenten in der Klasse. Mein Vater hat mir immer Vorhaltungen gemacht, weil ich mich nicht mehr mit den Bauernjungen angefreundet habe, aber ehrlich gesagt war da wenig Kontakt möglich. Harry Charlesworth hat die Molkerei seines Vaters übernommen. Er gilt als ehrlicher Mensch.«
    »Sie sagten, Sie hätten wenig Umgang mit den Leuten im Dorf gehabt?«
    »Und sie wenig mit mir. In Wahrheit, Sir Arthur, hatte ich immer vor, nach Abschluss meiner Ausbildung in Birmingham zu leben. Ich fand Wyrley – unter uns gesagt – öde und rückständig. Zunächst wohnte ich weiterhin zu Hause, da ich nicht wagte, dies meinen Eltern mitzuteilen, und kümmerte mich nicht um das Dorf, es sei denn für das Notwendigste. Um meine Stiefel reparieren zu lassen, zum Beispiel. Und dann merkte ich allmählich, dass ich nicht gerade in der Falle saß, aber derart innerhalb meiner Familie lebte, dass es immer schwerer wurde, auch nur an Auszug zu denken. Und ich hänge sehr an meiner Schwester Maud. Das war also meine Situation, bis … mir all das angetan wurde, was Sie schon kennen. Nach meiner Entlassung aus dem Gefängnis war es mir natürlich unmöglich, nach Staffordshire zurückzukehren. Darum wohne ich jetzt in London. Ich habe ein möbliertes Zimmer am Mecklenburgh Square bei Miss Goode. In den ersten Wochen nach meiner Entlassung war meine Mutter bei mir. Aber mein Vater braucht sie zu Hause. Sie kommt, sooft es geht, und kümmert sich um mich. Mein Leben ist …«, George hält kurz inne, »… mein Leben ist, wie Sie sehen, in der Schwebe.«
    Wieder fällt Arthur auf, wie vorsichtig und präzise George sich ausdrückt, ob er von Wesentlichem oder Unwesentlichem, Gefühlen oder Tatsachen spricht. Dieser Mensch ist ein erstklassiger Zeuge. Es ist nicht seine Schuld, wenn er nicht sieht, was andere sehen.
    »Mr Edalji …«
    »Bitte, nennen Sie mich George.« Sir Arthur ist nun doch wieder in die Aussprache Ee-dal-ji verfallen, und sein neuer Gönner soll nicht in Verlegenheit kommen.
    »Sie und ich, George, Sie und ich, wir sind … inoffizielle Engländer.«
    George ist bestürzt über diese Bemerkung. Für ihn ist Sir Arthur ein ausgesprochen offizieller Engländer: sein Name, sein Auftreten, sein Ruhm, die Selbstverständlichkeit, mit der er sich in diesem vornehmen Londoner Hotel wie zu Hause fühlt, sogar die Tatsache, dass er George warten ließ. Wenn Sir Arthur für ihn keine Persönlichkeit des offiziellen Englands gewesen wäre, hätte er womöglich gar nicht an ihn geschrieben. Doch es scheint ihm unhöflich, die Selbsteinschätzung eines anderen in Frage zu stellen.
    Stattdessen denkt er über seinen eigenen Status nach. Inwiefern ist er kein richtiger Engländer? Er ist Engländer durch Geburt, durch Staatsangehörigkeit, durch Erziehung, durch Religion, durch Beruf. Meint Sir Arthur, als man ihm die Freiheit nahm und ihm die Zulassung als Anwalt entzog, habe man ihn auch von der

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