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Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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zusammen beim Innenministerium einreichen.«
    »Sir Arthur, ich kann gar nicht zum Ausdruck bringen, wie dankbar ich Ihnen bin …«
    »Das sollen Sie auch nicht. Ich habe es nicht um Ihrer verfluchten Dankbarkeit willen getan, die Sie bereits hinreichend zum Ausdruck gebracht haben. Ich habe es getan, weil Sie unschuldig sind und weil ich mich dafür schäme, wie die Maschinerie der Justiz und Bürokratie dieses Landes arbeitet.«
    »Dennoch hätte niemand sonst tun können, was Sie getan haben. Und noch dazu in vergleichsweise kurzer Zeit.«
    Damit will er mir praktisch sagen, ich hätte das nur so hingepfuscht, denkt Arthur. Nein, sei nicht albern – er hat eben viel mehr Interesse an seiner eigenen Verteidigung, deren er sich absolut sicher sein will, als an der Verfolgung von Sharp. Was völlig verständlich ist. Man führt erst eine Sache zu Ende, bevor man sich an die nächste macht – was würde man von einem umsichtigen Juristen anderes erwarten? Ich dagegen greife an allen Fronten zugleich an. Er hat einfach Angst, dass ich den Ball aus den Augen verliere.
    Später jedoch, als sie sich verabschiedet hatten und Arthur in einer Droschke zu Jeans Wohnung saß, kam er ins Grübeln. Wie hieß dieser Spruch? Der Mensch kann alles verzeihen, nur nicht die Hilfe, die man ihm erweist? Irgendwas in der Art. Und vielleicht galt das in einem Fall wie diesem erst recht. Als er sich über die Dreyfus-Affäre kundig gemacht hatte, war ihm aufgefallen, dass viele, die dem Franzosen zu Hilfe kamen, die sich mit Leidenschaft für ihn einsetzten, die diesen Fall nicht nur als einen großen Kampf zwischen Wahrheit und Lüge, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit begriffen, sondern meinten, der Fall sage etwas über das Land aus, in dem sie lebten, und charakterisiere es sogar – dass viele von denen gar nicht viel von Colonel Alfred Dreyfus hielten. Sie fanden ihn ausgesprochen langweilig, kühl und korrekt und nicht gerade von Dankbarkeit und Menschenfreundlichkeit überfließend. Jemand hatte geschrieben, das Opfer werde dem Mythos seiner Affäre nur selten gerecht. Ein sehr französischer Satz, aber nicht unbedingt ganz verkehrt.
    Aber vielleicht war das genauso ungerecht. Bei seiner ersten Begegnung mit George Edalji war er davon beeindruckt gewesen, dass dieser eher zarte und empfindsame junge Mann drei Jahre Zuchthaus überstanden hatte. Vor lauter Verwunderung hatte er sicher nicht recht gewürdigt, was es George gekostet haben musste. Vielleicht konnte man das nur überleben, indem man sich von morgens bis abends voll und ganz auf die Details des eigenen Falls konzentrierte, an nichts anderes dachte, alle Fakten und Argumente parat hatte für den Fall, dass sie irgendwann einmal gebraucht wurden. Nur so konnte man eine ungeheuerliche Ungerechtigkeit und die erbärmliche Umkehrung aller Lebensgewohnheiten ertragen. Daher war es vielleicht zu viel verlangt, dass George Edalji so reagieren sollte wie ein freier Mann. Solange man ihn nicht begnadigt und entschädigt hatte, konnte er nicht wieder der Mensch sein, der er zuvor gewesen war.
    Spar dir deinen Ärger für andere auf, dachte Arthur. George ist ein netter Kerl und ein unschuldiger Mann, doch es hat keinen Sinn, ihn zum Heiligen machen zu wollen. Mehr Dankbarkeit von ihm zu verlangen, als er geben kann, ist so, als sollte jeder Rezensent jedes neue Buch von dir zu einem genialen Meisterwerk erklären. Ja, spar dir deinen Ärger für andere auf. Für Captain Anson zum Beispiel, dessen Brief heute Morgen eine neue Unverschämtheit enthielt: Er weigert sich rundheraus zuzugeben, dass die Verstümmelungen von einer Pferdelanzette stammen könnten. Und als Krönung des Ganzen der abfällige Satz: »Sie haben mir da eine ganz gewöhnliche Lanzette aufgemalt.« Das war doch die Höhe! Mit dieser neuesten Provokation hatte Arthur George nicht behelligen wollen.
    Und Willie Hornung ärgerte ihn genauso wie Anson. Sein Schwager hatte einen neuen Scherz, den Connie ihm bei einem Mittagessen weitererzählt hatte. »Was haben Arthur Conan Doyle und George Edalji gemeinsam? Na? Soll ich’s euch sagen? ›Ein hartes Urteil.‹« Arthur grummelte vor sich hin. Ein hartes Urteil – das fand er komisch? Objektiv gesehen konnte Arthur verstehen, dass manch einer das komisch finden mochte. Aber wirklich … Es sei denn, er verlor allmählich seinen Sinn für Humor. Wie es hieß, kam das mit zunehmendem Alter häufig vor. Nein – Unsinn. Und nun ärgerte er sich auch noch über sich

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