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Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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unmännlich gewesen, unfähig, seinen Kampf gegen den Dämon Alkohol zu gewinnen. Kampf? Er war ja gar nicht erst in den Ring gestiegen. Hin und wieder wurden Entschuldigungen für ihn vorgebracht, doch der Verweis auf die künstlerische Veranlagung seines Vaters konnte Arthur nicht überzeugen. Der Vater hatte sich gehen lassen und vor seiner Verantwortung gedrückt. Man konnte sehr wohl ein Künstler und zugleich robust und pflichtbewusst sein.
    Im Herbst bekam Touie einen hartnäckigen Husten und klagte über Schmerzen in der Seite. Arthur hielt die Symptome für unbedeutend, ließ aber schließlich doch den Hausarzt Dalton kommen. Es war seltsam, sich vom Arzt in den bloßen Ehemann der Patientin verwandelt zu finden; seltsam, unten zu warten, während irgendwo über seinem Kopf sein Schicksal entschieden wurde. Die Schlafzimmertür blieb lange geschlossen, und dann kam Dalton mit einem Gesicht heraus, das ebenso unheilvoll wie vertraut war: So ein Gesicht hatte Arthur nur allzu oft selbst gemacht.
    »Die Lungen sind schwer angegriffen. Alles deutet auf eine galoppierende Schwindsucht hin. Bei ihrem Allgemeinzustand und der Familiengeschichte …« Mehr brauchte Dr. Dalton nicht zu sagen; er setzte lediglich hinzu: »Sie wollen sicher noch eine zweite Meinung einholen.«
    Nicht nur eine zweite, sondern die beste. Am folgenden Samstag kam Douglas Powell, beratender Arzt am Brompton Hospital for Consumption and Diseases of the Chest, nach South Norwood. Powell, ein bleicher, asketischer Mann, sauber rasiert und korrekt, bestätigte die Diagnose mit Bedauern.
    »Sie sind, glaube ich, selbst Mediziner, Mr Doyle?«
    »Ich mache mir schwere Vorwürfe wegen meiner Unaufmerksamkeit.«
    »Die Lunge war nicht Ihr Spezialgebiet?«
    »Nein, das Auge.«
    »Dann sollten Sie sich keine Vorwürfe machen.«
    »Im Gegenteil, umso mehr. Ich hatte Augen und war doch blind. Ich habe die verwünschte Mikrobe nicht entdeckt. Ich habe meiner Frau nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt. Ich war zu beschäftigt mit meinem eigenen … Erfolg.«
    »Aber Sie waren doch Augenarzt.«
    »Vor drei Jahren war ich in Berlin und habe über Kochs Erkenntnisse – angebliche Erkenntnisse – über ebendiese Krankheit berichtet. Ich habe für W.T. Stead darüber geschrieben, in der Review of Reviews .«
    »Ich verstehe.«
    »Und dennoch habe ich die galoppierende Schwindsucht bei meiner eigenen Frau nicht erkannt. Ja, ich habe sogar zugelassen, dass sie mich bei Unternehmungen begleitete, die die Krankheit sicher verschlimmert haben. Wir sind bei jedem Wetter Fahrrad gefahren, wir sind in kalte Gegenden gereist, sie hat mit mir im Freien Sport getrieben …«
    »Andererseits«, sagte Powell, und das machte Arthur zunächst Hoffnung, »gibt es meiner Ansicht nach vielversprechende Anzeichen für die Bildung von Bindegewebe um den Krankheitsherd. Und die andere Lunge ist zum Ausgleich etwas vergrößert. Aber das ist schon alles, was ich sagen kann.«
    »Das akzeptiere ich nicht!« Arthur flüsterte, da er nicht lauthals brüllen durfte.
    Powell war nicht gekränkt. Er war es gewöhnt, das Todesurteil so sanft und höflich wie möglich zu verkünden, und wusste, wie die Betroffenen es aufnahmen. »Selbstverständlich. Wenn ich Ihnen den Namen …«
    »Nein. Ich akzeptiere, was Sie mir gesagt haben. Aber ich akzeptiere nicht, was Sie mir nicht gesagt haben. Sie geben ihr nur noch wenige Monate.«
    »Sie wissen so gut wie ich, Mr Doyle, wie unmöglich eine Prognose …«
    »Ich weiß so gut wie Sie, Dr. Powell, welche Worte wir gebrauchen, um unseren Patienten und ihren Angehörigen Hoffnung zu geben. Ich weiß aber auch, welche Worte wir in unserem Innern hören, während wir ihnen Mut zu machen versuchen. Etwa drei Monate.«
    »Ja, meiner Ansicht nach.«
    »Dann sage ich noch einmal, ich akzeptiere das nicht. Ich nehme den Kampf gegen den Teufel auf. Ich bin zu jeder Reise bereit, ich trage alle Kosten, aber dieser Teufel soll sie nicht bekommen.«
    »Ich wünsche Ihnen viel Glück«, antwortete Powell. »Und ich stehe Ihnen weiterhin zu Diensten. Zweierlei muss ich Ihnen allerdings mitteilen. Es mag unnötig sein, aber ich bin dazu verpflichtet. Ich vertraue darauf, dass Sie es mir nicht übelnehmen.«
    Arthur richtete sich auf und nahm Haltung an, wie ein Soldat beim Befehlsempfang.
    »Sie haben, glaube ich, Kinder?«
    »Zwei, einen Jungen und ein Mädchen. Ein und vier Jahre alt.«
    »Es ist, Sie müssen verstehen, völlig ausgeschlossen

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