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Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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derselbe Fluch verdarb späterhin sämtliche Völker und Kulturen, die unter die Herrschaft einer Priesterschaft gerieten.
    Damals in Southsea hatten ihn General Draysons Argumente nicht überzeugen können. Nun aber wurden übersinnliche Erscheinungen auch von hervorragenden und erwiesenermaßen redlichen Wissenschaftlern wie William Crookes, Oliver Lodge und Alfred Russel Wallace bezeugt. Demnach führten die Männer, die am meisten von der natürlichen Welt verstanden – die großen Physiker und Biologen –, uns auch in die übernatürliche Welt.
    Wallace, zum Beispiel. Der Mitbegründer der modernen Evolutionstheorie, der Mann, der an Darwins Seite stand, als sie gemeinsam der Linnaean Society das Prinzip der natürlichen Selektion vortrugen. Furchtsame und phantasielose Naturen hatten das so verstanden, als hätten Wallace und Darwin uns in einem gottlosen und mechanistischen Universum ausgesetzt und im finsteren Tal alleingelassen. Doch man bedenke, was Wallace selbst glaubte. Dieser größte Mann der modernen Zeit war der Ansicht, die natürliche Auslese erkläre lediglich die Entwicklung des menschlichen Körpers; irgendwann müsse auch eine übernatürliche Macht in den Evolutionsprozess eingegriffen haben, und da sei die Flamme des Geistes in das noch unfertige, sich in der Entwicklung befindende Lebewesen eingesetzt worden. Wer wagte da noch zu behaupten, die Wissenschaft sei der Feind der Seele?

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George & Arthur
    Es war eine kalte, klare Februarnacht mit einem halben Mond und einem Himmel voller Sterne. In der Ferne hob sich der Förderturm der Zeche von Wyrley schwach gegen den Himmel ab. Nahebei lag der Hof des Bauern Jospeh Holmes: Haus, Scheune, Nebengebäude, und nirgendwo brannte ein Licht. Die Menschen schliefen, und die Vögel waren noch nicht erwacht.
    Doch das Pferd war wach, als der Mann auf der anderen Seite des Feldes durch ein Loch in der Hecke kam. Er trug einen Futtersack über dem Arm. Sobald er merkte, dass ihn das Pferd wahrgenommen hatte, blieb er stehen und begann sehr leise zu sprechen. Die Worte selbst waren nur unsinniges Gebrabbel; von Bedeutung war allein der beruhigende und vertrauliche Ton. Nach ein paar Minuten ging der Mann langsam näher. Als er ein paar Schritte getan hatte, schüttelte das Pferd den Kopf, und seine Mähne verschwamm zu einem undeutlichen Fleck. Da blieb der Mann wieder stehen.
    Er setzte jedoch sein sinnloses Gebrabbel fort und sah das Pferd weiterhin direkt an. Der Boden unter seinen Füßen war nach mehreren Frostnächten fest und hart, und seine Stiefel hinterließen keine Spuren. Er bewegte sich langsam weiter, Meter um Meter, und hielt inne, sobald das Pferd das kleinste Anzeichen von Unruhe erkennen ließ. Dabei zeigte er sich ständig in voller Größe und richtete sich auf, so hoch es ging. Der Futtersack über seinem Arm war eine unwesentliche Einzelheit. Wichtig war nur die ruhige Beharrlichkeit der Stimme, das entschiedene Weitergehen, der direkte Blick, die sanfte Gewalt.
    Er brauchte zwanzig Minuten, bis er auf diese Art das Feld durchquert hatte. Nun stand er nur noch wenige Meter entfernt, das Gesicht dem Pferd zugewandt. Noch immer unterließ er jede plötzliche Bewegung, sondern machte weiter wie zuvor, murmelte, schaute, hielt sich gerade, wartete. Schließlich trat ein, was er erwartet hatte: Das Pferd neigte erst zögernd, doch dann deutlich erkennbar den Kopf.
    Selbst jetzt machte der Mann noch keine jähe Bewegung. Er ließ ein, zwei Minuten verstreichen, dann ging er auch die letzten Meter und hängte den Futtersack sachte um den Hals des Pferdes. Das Tier hielt den Kopf gesenkt, während der Mann es streichelte, wobei er ständig vor sich hin murmelte. Er strich ihm über die Mähne, die Flanke, den Rücken; manchmal legte er einfach nur die Hand auf die warme Haut des Pferdes, damit der Kontakt nie abriss.
    Unablässig streichelnd und vor sich hin murmelnd streifte der Mann den Futtersack vom Hals des Pferdes und hängte ihn sich über die Schulter. Unablässig streichelnd und vor sich hin murmelnd tastete der Mann nach etwas unter seinem Mantel. Unablässig streichelnd und vor sich hin murmelnd legte der Mann einen Arm um den Rücken des Pferdes, dann griff er nach unten an dessen Bauch.
    Das Pferd zuckte kaum; der Mann stellte endlich sein sinnloses Gebrabbel ein und ging in der neu entstandenen Stille mit bedächtigem Schritt zu dem Loch in der Hecke zurück.

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George
    George nimmt jeden Morgen den ersten Zug

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