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Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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nach Birmingham. Er kennt den Fahrplan auswendig, und er liebt ihn. Wyrley & Churchbridge 7 : 39 . Bloxwich 7 : 48 . Birchills 7 : 53 . Walsall 7 : 58 . Birmingham New Street 8 : 35 . Er hat kein Bedürfnis mehr, sich hinter seiner Zeitung zu verstecken; ja, von Zeit zu Zeit meint er, einige seiner Mitreisenden wüssten, dass er der Autor von Railway Law for the ›Man in the Train‹ ( 237 verkaufte Exemplare) ist. Er grüßt Schaffner und Stationsvorsteher, und sie erwidern seinen Gruß. Er hat einen ansehnlichen Schnurrbart, eine Aktentasche, eine bescheidene Uhrkette und außer seinem Bowlerhut nun auch einen Strohhut für den Sommer. Er hat auch einen Regenschirm. Auf diesen Besitz ist er recht stolz und trägt ihn häufig ohne Rücksicht auf das Barometer mit sich herum.
    Im Zug liest er die Zeitung und versucht, sich eine Meinung über das Weltgeschehen zu bilden. Im vergangenen Monat hat Mr Chamberlain im neuen Rathaus von Birmingham eine wichtige Rede über die Kolonien und Vorzugszölle gehalten. Zwar hat bisher noch niemand George um seine Ansicht zu diesem Thema gebeten, doch seine Haltung ist vorsichtig zustimmend. Nächsten Monat soll Lord Roberts of Kandahar zum Ehrenbürger der Stadt ernannt werden, wogegen kein vernünftiger Mensch etwas einwenden kann.
    Aus seiner Zeitung erfährt er auch andere Nachrichten von eher lokaler, belangloser Art: In der Umgebung von Wyrley wurde wieder ein Tier verstümmelt. George überlegt kurz, unter welchen Abschnitt des Strafgesetzes eine solche Tat fällt: Handelt es sich um Zerstörung von Eigentum gemäß dem Gesetz gegen Diebstahl, oder gibt es womöglich einschlägige Bestimmungen hinsichtlich der einen oder anderen speziellen Tierart? Er ist froh, dass er in Birmingham arbeitet, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis er dort auch wohnen wird. Er weiß, diese Entscheidung muss er selbst treffen; er muss Vaters tadelndem Blick, Mutters Tränen und Mauds stummer, aber auf Dauer umso schmerzlicherer Bestürzung standhalten. Jeden Morgen spürt er, wie sich seine Laune merklich bessert, wenn die viehgesprenkelten Felder den wohlgeordneten Vororten weichen. Der Vater hat ihm vor Jahren erzählt, Bauernjungen und Landarbeiter seien die Elenden im Lande, denen die Liebe Gottes gelte und die am Ende das Erdreich besitzen würden. Nun ja, nicht alle, denkt er, und die dafür geltenden Bestimmungen des Erbrechts sind ihm unbekannt.
    Oft sitzen auch Schuljungen im Zug, jedenfalls bis Walsall, wo sie aussteigen und zur Grammar School gehen. Ihre Schuluniformen erinnern George bisweilen an die schreckliche Zeit, als man ihn bezichtigte, den Schulschlüssel gestohlen zu haben. Doch das liegt nun Jahre zurück, und die meisten Jungen sind recht höflich. Manchmal sitzt eine Gruppe von ihnen in seinem Wagen, und er schnappt ihre Namen auf: Page, Harrison, Greatorex, Stanley, Ferriday, Quibell. Nach drei, vier Jahren grüßt man sich sogar mit einem Nicken.
    In der Newhall Street 54 verbringt er seine Zeit meist mit der Ausfertigung von Grundstücksübertragungsurkunden – eine Tätigkeit, die ein prominenter Rechtsgelehrter einmal als »bar jeder Phantasie und des freien Spiels der Gedanken« bezeichnete. Diese Geringschätzung stört George keineswegs; für ihn ist es eine präzise, verantwortungsvolle und notwendige Arbeit. Er hat auch schon Testamente aufgesetzt, und seit kurzem führt ihm sein Railway Law Mandanten zu. Es geht um verlorene Gepäckstücke oder unzumutbare Verspätungen, und in einem Fall ist eine Dame auf dem Bahnhof Snow Hill ausgerutscht und hat sich das Handgelenk verstaucht, nachdem ein Bahnarbeiter fahrlässig Öl neben einer Lokomotive vergossen hatte. George hat auch etliche Fälle bearbeitet, in denen Menschen überfahren wurden. Offenbar ist die Wahrscheinlichkeit, unter ein Fahrrad, Pferd, Automobil, eine Straßenbahn oder gar einen Zug zu geraten, für einen Einwohner von Birmingham beträchtlich höher, als er gedacht hätte. Vielleicht gilt George Edalji, Solicitor, eines Tages als die beste Adresse, wenn der Körper eines Menschen unverhofft mit einem rücksichtslosen Gefährt zusammengetroffen ist.
    Georges Zug nach Hause fährt um 17 : 25 in New Street ab. Auf der Heimfahrt sitzen selten Schuljungen im Zug. Dafür trifft er dort manchmal auf eine größere Gruppe von eher flegelhaften Elementen, die er mit Abscheu betrachtet. Ab und zu werden Bemerkungen in seine Richtung gemacht, die vollkommen unnötig sind: über Bleichmittel und seine

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