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Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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Mutter, die die Karbolsäure vergessen hat, und Erkundigungen, ob er gerade aus der Grube komme. Meist ignoriert er diese Reden, doch wenn so ein junger Rabauke ganz besonders ausfallend wird, muss er ihm vielleicht doch zeigen, mit wem er es zu tun hat. Körperlich ist George allen unterlegen, doch bei solchen Gelegenheiten ist er erstaunlich ruhig. Er kennt die englischen Gesetze und weiß sie auf seiner Seite.
    Birmingham New Street 17 : 25 . Walsall 17 : 55 . Dieser Zug hält nicht in Birchills; den Grund konnte George nie herausfinden. Dann kommt Bloxwich 18 : 02 , Wyrley & Churchbridge 18 : 09 . Um 18 : 10 nickt er dem Stationsvorsteher Mr Merriman zu – wobei er oft an die richterliche Entscheidung von His Honour Judge Bacon 1899 im Bloomsbury County Court über den rechtswidrigen Besitz abgelaufener Dauerfahrkarten denken muss –, hängt seinen Schirm über das linke Handgelenk und geht zu Fuß weiter zum Pfarrhaus.

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Campbell
    In den zwei Jahren seit seinem Dienstantritt bei der Staffordshire Constabulary hatte Inspector Campbell des Öfteren mit Captain Anson zu tun, war aber noch nie nach Green Hall bestellt worden. Das Haus des Chief Constable lag außerhalb des Ortes zwischen den Feuchtwiesen am anderen Ufer des Flusses Sow und galt als der größte Landsitz zwischen Stafford und Shugborough. Als Campbell von der Lichfield Road in die kiesbestreute Auffahrt bog und sich allmählich die Umrisse des Hauses abzeichneten, fragte er sich im Stillen, wie groß Shugborough wohl sein mochte. Das dortige Herrenhaus war im Besitz von Captain Ansons älterem Bruder. Als zweiter Sohn musste sich der Chief Constable mit dieser bescheidenen, weiß gestrichenen Villa begnügen: drei Stockwerke hoch, sieben oder acht Fenster breit und mit einem einschüchternden, von vier Säulen getragenen Portal. Auf der rechten Seite lagen eine Terrasse und ein abgesenkter Rosengarten, an den sich ein Sommerhaus und ein Tennisplatz anschlossen.
    Campbell nahm das alles wahr, ging aber zügig weiter. Als ihn das Hausmädchen einließ, bemühte er sich, nicht in seine üblichen Berufsgewohnheiten zu verfallen: die mutmaßliche Redlichkeit und das mutmaßliche Einkommen der Bewohner zu taxieren und alles zu registrieren, was sich zu stehlen lohnte – in manchen Fällen alles, was womöglich bereits gestohlen war. Obwohl er sich vorgenommen hatte, nicht neugierig zu sein, konnten ihm das glänzende Mahagoni, die weiß getäfelten Wände, ein extravaganter Garderobenständer und eine Treppe mit seltsam gewundenen Balustersäulen zu seiner Rechten nicht entgehen.
    Man führte ihn in einen Raum gleich links vom Eingang. Allem Anschein nach Ansons Arbeitszimmer: zwei hohe Lederstühle zu beiden Seiten des Kamins und darüber der drohend aufragende Kopf eines toten Elchs oder Rentiers. Auf jeden Fall hatte es ein Geweih; Campbell jagte nicht und hatte auch kein Verlangen danach. Er war in Birmingham geboren und aufgewachsen und hatte nur widerstrebend seine Versetzung beantragt, als seine Frau es in der Stadt nicht mehr aushielt und sich nach der Beschaulichkeit und Weite ihrer Kindheit zurücksehnte. Es waren nur rund fünfzehn Meilen, doch Campbell kam sich vor wie im Exil. Der Landadel zeigte einem die kalte Schulter; die Bauern blieben unter sich; die Bergleute und Hüttenarbeiter waren selbst nach den Maßstäben der Elendsviertel raubeinige Gesellen. Da wurde jede verschwommene Vorstellung von einem romantischen Landleben rasch zunichte gemacht. Und die Polizei war hier draußen anscheinend noch unbeliebter als in der Stadt. Er zählte schon nicht mehr mit, wie oft man ihm bedeutet hatte, er werde hier nicht gebraucht. Ein Verbrechen wurde begangen und womöglich gar angezeigt, doch die Opfer gaben einem zu verstehen, dass sie sich lieber an ihre eigene Auffassung von Recht und Ordnung hielten und ein Inspektor, dessen dreiteiligem Anzug und Bowlerhut noch der Geruch der Stadt anhaftete, ihnen nicht viel zu bieten hatte.
    Anson eilte herein, schüttelte seinem Besucher die Hand und bat ihn, Platz zu nehmen. Er war ein kleiner, gedrungener Mittvierziger in einem zweireihigen Anzug und mit dem elegantesten Schnurrbart, den Campbell je gesehen hatte: Die Spitzen schienen eine direkte Verlängerung der Nase zu sein, und das Ganze fügte sich so perfekt in den Bogen der Oberlippe, als sei der Schnurrbart nach exaktem Maßnehmen aus einem Katalog bestellt worden. Ansons Krawatte wurde von einer goldenen Nadel in Form des

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