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Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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Fehler, überhaupt auf ihn einzugehen. Alles, was keine klare Antwort auf eine klare Frage ist, liefert ihm Munition. Also lass es bleiben.
    Der Inspektor schaute in ein vor ihm liegendes Notizbuch. »Bei deiner Festnahme hast du gesagt: ›Das alles überrascht mich nicht. Ich habe es schon seit geraumer Zeit erwartet.‹ Wie hast du das gemeint?«
    »So, wie ich es gesagt habe.«
    »Na, dann will ich dir sagen, wie ich das verstanden habe und wie der Sergeant das verstanden hat und wie der Mann auf der Straße es verstehen würde. Dass du nun endlich gefasst wurdest und dass du im Grunde darüber erleichtert bist.«
    Schweigen.
    »Also, was glaubst du, warum du hier bist?«
    Schweigen.
    »Vielleicht glaubst du, du bist hier, weil dein Vater Hindu ist.«
    »Mein Vater ist eigentlich Parse.«
    »An deinen Stiefeln klebt Schlamm.«
    Schweigen.
    »An deinem Rasiermesser klebt Blut.«
    Schweigen.
    »An deinem Mantel sind Pferdehaare.«
    Schweigen.
    »Du warst nicht überrascht über deine Festnahme.«
    Schweigen.
    »Ich glaube nicht, dass all das irgendetwas damit zu tun hat, ob dein Vater nun Hindu oder Parse oder Hottentotte ist.«
    Schweigen.
    »Nun, er findet offenbar keine Worte mehr, Sergeant. Wahrscheinlich spart er sie sich für den Magistrates’ Court in Cannock auf.«
    George wurde in seine Zelle zurückgebracht, wo ein Teller mit kaltem Fraß auf ihn wartete. Er rührte ihn nicht an. Alle zwanzig Minuten hörte er ein Scharren am Guckloch; jede Stunde wurde – seiner Schätzung nach – die Tür aufgeschlossen, und ein Constable schaute herein.
    Beim zweiten Mal sagte der Polizist einen offenkundig vorbereiteten Text auf: »Nun, Mr Edalji, tut mir leid, Sie hier zu sehen – wie haben Sie es nur geschafft, allen unseren Leuten zu entwischen? Wann haben Sie sich das Pferd denn vorgenommen?«
    George hatte den Constable noch nie gesehen, daher rührte ihn dessen Mitgefühl wenig, und es entlockte ihm auch keine Antwort.
    Eine Stunde später sagte der Polizist: »Offen gestanden, Sir, würde ich Ihnen raten, reinen Tisch zu machen. Sonst tut das nämlich bestimmt jemand anderes für Sie.«
    Beim vierten Besuch fragte George, ob diese ständigen Kontrollen die ganze Nacht weitergehen würden.
    »Befehl ist Befehl.«
    »Und Sie haben Befehl, mich wach zu halten?«
    »Aber nein, Sir. Wir haben Befehl, Sie am Leben zu erhalten. Wenn Sie sich was antun, muss ich den Kopf dafür hinhalten.« George erkannte, dass jeder Protest gegen diese andauernden Störungen zwecklos war. Der Constable fuhr fort: »Es wäre natürlich leichter für alle Beteiligten, Sie selbst eingeschlossen, wenn Sie sich einweisen ließen.«
    »Mich einweisen lassen? Wohin denn?«
    Der Constable wand sich ein wenig. »An einen Ort, wo Sie in Sicherheit sind.«
    »Ah, ich verstehe«, sagte George, und wieder wallte jäher Zorn in ihm auf. »Ich soll mich für übergeschnappt erklären.« Er benutzte dieses Wort mit Absicht und im vollen Bewusstsein, dass sein Vater es missbilligt hätte.
    »Das macht es der Familie oft sehr viel leichter. Denken Sie darüber nach, Sir. Denken Sie daran, was das für Ihre Eltern bedeutet. Soweit ich weiß, sind sie nicht mehr die Jüngsten.«
    Die Zellentür schloss sich. George lag auf seiner Pritsche und konnte vor Wut und Erschöpfung nicht einschlafen. Immer wieder rasten seine Gedanken zum Pfarrhaus zurück, zu dem Klopfen an der Tür und dem Haus voller Polizisten. Sein Vater, seine Mutter, Maud. Seine Kanzlei in der Newhall Street, nunmehr verschlossen und verlassen, seine Sekretärin bis auf weiteres nach Hause geschickt. Sein Bruder Horace, der am nächsten Morgen die Zeitung aufschlägt. Seine Anwaltskollegen in Birmingham, die sich die Neuigkeit am Telefon weitererzählen.
    Doch hinter der Erschöpfung, der Wut und der Angst entdeckte George noch eine andere Empfindung: Erleichterung. So weit war es jetzt also gekommen: Nun, umso besser. Gegen die üblen Streiche, die Verfolgungen und die unflätigen anonymen Briefe hatte er wenig tun können; und auch nicht viel mehr, als die Polizei hilflos herumtappte – außer ihr vernünftige Ratschläge zu geben, die sie verächtlich von sich gewiesen hatte. Doch jene Peiniger und diese hilflosen Stümper hatten ihn an einen Ort gebracht, an dem er in Sicherheit war: in seine zweite Heimat, die englische Justiz. Nun wusste er, wo er war. Auch wenn ihn seine Arbeit nur selten in einen Gerichtssaal führte, kannte er sich dort aus wie in seinem natürlichen

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