Arthur & George
hast.«
»Mein Vater und ich schlafen im selben Raum. Er schließt jeden Abend die Tür ab.«
»Seit wann besteht dieses … Arrangement?«
»Seit meinem zehnten Lebensjahr.«
»Und wie alt bist du jetzt?«
»Siebenundzwanzig.«
»Verstehe.« Campbell verstand überhaupt nichts. »Und dein Vater – wenn er die Tür abschließt – du weißt, wo er den Schlüssel aufbewahrt?«
»Er bewahrt ihn nirgendwo auf. Er lässt ihn im Schloss stecken.«
»Du könntest also ohne weiteres das Zimmer verlassen?«
»Ich habe keinen Grund, das Zimmer zu verlassen.«
»Zum Verrichten der Notdurft?«
»Unter meinem Bett steht ein Nachttopf. Aber ich benutze ihn nie.«
»Nie?«
»Nie.«
»Na gut. Der Schlüssel steckt immer im Schloss. Du müsstest ihn also nicht erst suchen?«
»Mein Vater hat einen sehr leichten Schlaf und leidet zurzeit an einem Hexenschuss. Er wacht sehr schnell auf. Der Schlüssel macht ein sehr lautes, quietschendes Geräusch, wenn man ihn dreht.«
Campbell konnte sich nur mit Mühe zurückhalten, seinem Gegenüber nicht direkt ins Gesicht zu lachen. Was glaubte der denn, wen er vor sich hatte?
»Das trifft sich alles auffallend günstig für Sie, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten, Sir. Haben Sie nie daran gedacht, das Schloss zu ölen?«
Schweigen.
»Wie viele Rasiermesser besitzen Sie?«
»Wie viele Rasiermesser? Ich besitze kein Rasiermesser.«
»Aber Sie rasieren sich doch, nehme ich an?«
»Ich benutze ein Rasiermesser meines Vaters.«
»Warum vertraut man Ihnen kein eigenes Rasiermesser an?«
Schweigen.
»Wie alt sind Sie, Mr Edalji?«
»Diese Frage habe ich heute bereits dreimal beantwortet. Ich schlage vor, Sie konsultieren Ihre Aufzeichnungen.«
»Ein Mann von siebenundzwanzig Jahren, der kein Rasiermesser besitzen darf und jeden Abend von seinem Vater, der einen leichten Schlaf hat, im Schlafzimmer eingesperrt wird. Ist Ihnen bewusst, dass Sie eine seltene Ausnahmeerscheinung sind?«
Schweigen.
»Eine außerordentlich seltene, würde ich meinen. Und nun … erzählen Sie mir von Tieren.«
»Das ist keine Frage – Sie wollen mich in eine Falle locken.« George musste unwillkürlich lächeln.
»Bitte vielmals um Verzeihung.« Der Inspektor wurde immer aufgebrachter. Bisher hatte er den Mann ausgesprochen sanft behandelt. Nun, es gehörte nicht viel dazu, einen eingebildeten Rechtsanwalt in einen heulenden Schuljungen zu verwandeln. »Also gut, hier ist eine Frage. Was halten Sie von Tieren? Mögen Sie sie?«
»Was ich von Tieren halte? Ob ich sie mag? Nein, im Allgemeinen mag ich sie nicht.«
»Das hätte ich mir denken können.«
»Nein, Inspector, ich will das erklären.« George spürte, wie sich Campbells Haltung verhärtete, und hielt es für taktisch klug, ihm etwas entgegenzukommen. »Als ich vier Jahre alt war, hat man mir eine Kuh gezeigt. Sie hat sich beschmutzt. Das ist beinahe meine erste Erinnerung.«
»An eine Kuh, die sich beschmutzt?«
»Ja. Ich glaube, von dem Tag an war ich Tieren gegenüber misstrauisch.«
»Misstrauisch?«
»Ja. Weil man nie weiß, was sie als Nächstes tun. Sie sind unzuverlässig.«
»Ich verstehe. Und das ist Ihre erste Erinnerung, sagen Sie?«
»Ja.«
»Und seitdem sind Sie Tieren gegenüber misstrauisch. Allen Tieren.«
»Nun, unserer Hauskatze gegenüber nicht. Und Tante Stonehams Hund gegenüber auch nicht. Diese Tiere habe ich sehr gern.«
»Ich verstehe. Aber große Tiere sind etwas anderes. Kühe, zum Beispiel.«
»Ja.«
»Pferde?«
»Pferde sind unzuverlässig, ja.«
»Schafe?«
»Schafe sind einfach nur dumm.«
»Amseln?«, fragte Sergeant Parsons. Bisher hatte er noch kein Wort gesagt.
»Amseln sind keine Tiere.«
»Affen?«
»In Staffordshire gibt es keine Affen.«
»Das wissen wir wohl ganz genau, ja?«
George merkte, dass er in Zorn geriet. Er wartete absichtlich einen Moment mit der Antwort. »Inspector, gestatten Sie mir die Bemerkung, dass die Taktik Ihres Sergeants vollkommen verfehlt ist.«
»Ach, ich glaube nicht, dass das Taktik war, Mr Edalji. Sergeant Parsons ist ein guter Freund von Sergeant Robinson in Hednesford. Jemand hat gedroht, Sergeant Robinson in den Kopf zu schießen.«
Schweigen.
»Jemand hat außerdem gedroht, in dem Dorf, in dem Sie wohnen, zwanzig junge Mädchen zu zerstückeln.«
Schweigen.
»Nun, er scheint nicht sehr entsetzt zu sein über diese Ankündigungen, Sergeant. Dann haben Sie ihn wohl nicht sonderlich überrascht.«
Schweigen. George dachte: Es war ein
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