Artikel 5
geworfen, weil ein großes Etwas von der Seite geflogen kam und geradewegs gegen Sean prallte.
Kein Etwas. Chase.
Ich beeilte mich, der Schlägerei aus dem Weg zu gehen. Etwas donnerte, dann hörte ich ein Grunzen, als jemandem gewaltsam die Luft aus der Lunge gepresst wurde. Sie kämpften nur ein paar Sekunden, dann hatte Chase Sean mit dem Gesicht nach unten auf dem Zementboden festgenagelt und hielt seine Arme hinter seinem Rücken fest. Gleich darauf entriss er ihm die Waffe und rammte sie nicht eben sanft an Seans Hinterkopf.
»Ember.« Chase war außer sich, so sehr, dass er nicht mehr daran dachte, mein Alias zu benutzen. Er wollte wissen, ob ich verletzt war, und ich wusste augenblicklich, dass meine Antwort darüber bestimmen würde, wie er meinen Angreifer bestrafen würde.
»Chase, das ist Sean! Ich kenne ihn!«, sagte ich. »Es ist in Ordnung. Ich bin in Ordnung.«
»Was ich gesehen habe, sah nicht aus, als wäre alles in Ordnung«, grollte er.
»Mann, lass mich los!«, erklang Seans Stimme gedämpft von dem harten Boden auf. Als Chase ihm die Schulter ausrenkte, schrie er auf. »Ich gehöre nicht zum FBR !«
»Ich weiß«, sagte Chase. »Deine Waffe gehört nicht zur Standardausrüstung.« Er drehte die Waffe in der Hand, um sie genauer in Augenschein zu nehmen. Sie war schwarz, wogegen Chases Waffe silbern gewesen war.
Mir wurde bewusst, was Chase gedacht haben musste, als er gesehen hatte, wie ich gegen die Wand gepresst wurde. Er hatte das Gleiche befürchtet wie an dem Tag, als Rick und Stan mich aufgefordert hatten, zu ihnen in den Wagen zu steigen.
»Chase, lass ihn aufstehen.« Ich zitterte am ganzen Leib.
»Ich hatte gerade versucht, ihr klarzumachen, wer ich bin!«, verteidigte sich Sean. »Sie hätte mir beinahe den Kopf abgeschlagen.«
»So war es«, bestätigte ich hastig.
Chase sah sich zu mir um und suchte in meinen Augen nach der Wahrheit. Einen Moment später nickte er, sah aber nicht gerade glücklich aus, als er seinen Gefangenen freiließ.
»Rühr sie nicht an«, warnte er Sean. Weder flaute sein Zorn so schnell ab, noch gab er die Waffe frei. »Warum hast du diesen Tumult ausgelöst?«
Sean hatte das Chaos herbeigeführt? Absichtlich? Aber als ich es näher betrachtete, ergab das durchaus einen Sinn. Darum hatte die Menge ihn nicht in Stücke gerissen. Darum trug er eine gestohlene Uniform, deren Namensschild auf WAGNER lautete.
Sean erhob sich ungehalten und wischte sich das Gesicht mit dem Ärmel ab.
»Weil das die heutige Mission war. Von den Reichen stehlen, um den Armen zu geben. Und wenn dann später die echten FBR -Leute auftauchen und keine Extrarationen ausgeben, werden die Leute ausreichend wütend sein, um sie zu überwältigen.«
Sean hatte sich dem Widerstand angeschlossen. Die Gedanken überschlugen sich in meinem Kopf. Der Uniformlaster – er war hier gestohlen worden, in Tennessee. Der Heckenschütze. Waren seine Leute auch dafür verantwortlich? Vielleicht war Sean sogar der, den wir suchten. Vielleicht kannte er zumindest den Schleuser.
Chase half mir auf, legte den Daumen an mein Kinn und drehte meinen Kopf von einer Seite zur anderen, um nachzusehen, ob ich Schaden davongetragen hatte.
Sean beobachtete uns neugierig. »Ich habe euch auf dem Platz gesehen, bin euch gefolgt und …«
»… und du hast gewartet, bis sie allein war«, knurrte Chase. Sean wich einen Schritt zurück.
»Ja«, sagte Sean. »Kannst du mir das verdenken?« Er wedelte mit den Armen vor Chase.
»Seid friedlich. Alle beide«, forderte ich.
Chase tat einen Schritt auf Sean zu, der regelrecht zurückscheute.
»Die haben mich noch in der Nacht, in der ich dir geholfen habe, entlassen«, sagte Sean hastig. »Ich bin hergekommen, um Becca zu suchen.«
»Was?« Ich wollte zu ihm gehen, aber Chase hielt mich auf. »Sie ist hier? Bei dir?«
»Sie ist drinnen. Im Stützpunkt. Da, wo sie all die Gefangenen festhalten, die auf ihren Prozess warten. Hast du das etwa nicht gewusst?«, fragte er zähneknirschend, und seine Augen blitzten mich an.
»Nein, das wusste ich nicht.« Ich schluckte heftig. Noch einmal durchlebte ich die letzten Augenblicke, in denen ich Rebecca Lansing gesehen hatte. »Sie haben sie fortgebracht. Ich wusste nicht, wohin.«
Sean musterte mich argwöhnisch. Ich wusste, er wollte mir glauben, aber er war zu sehr auf der Hut, um mir einfach zu vertrauen. Derweil überlegte ich, wie er herausgefunden hatte, dass man Becca hierhergebracht hatte. Wusste er
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