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Artikel 5

Artikel 5

Titel: Artikel 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristen Simmons
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gesäumt von schlichten Klinkerfassaden, wo früher möglicherweise einmal Geschäfte gewesen waren. Heute standen sie leer oder dienten als Wohnheime oder Sanitätsstationen.
    Auf der anderen Seite des Platzes herrschte noch mehr Gedränge. Tausende von Leuten waren hier auf der Suche nach Nahrung oder Obdach. Auch Schwestern konnte ich auf dem Platz ausmachen. Mit ihren marineblauen Röcken und den verknoteten Halstüchern huschten sie um die provisorischen Pritschen eines Rotkreuzlagers herum. Ich schluckte mühsam, als mir klar wurde, dass ich eines Tages eine von ihnen hätte sein können.
    Eine Dosis Adrenalin schoss durch meine Adern, als ich aus dem Augenwinkel eine Uniform wahrnahm. Das saubere, ordentlich gebügelte Blau hob sich deutlich von dem Meer schäbiger Fetzen ab.
    Soldaten.
    Meine Augen verweilten bei der Uniform, und bald sah ich zwei weitere Soldaten hinter einem nicht gekennzeichneten Umzugslaster, von dem Holzkisten mit Lebensmitteln abgeladen wurden. Sie befanden sich auf der rechten Seite einer Engstelle, die zu dem offenen Platz führte, und sie gaben sich keine Mühe, ihre Waffen zu verbergen. Sie alle waren bewaffnet und bereit, auf jeden zu schießen, der vielleicht versuchen könnte, etwas zu stehlen.
    Auch Chase hatte sie gesehen. Er senkte den Kopf und bemühte sich, nicht so groß auszusehen. Ich ließ meinen Blick über die Menge schweifen. Viel zu viele Leute schlurften auf den Platz; niemand verließ ihn. Sollten wir jetzt die Flucht ergreifen, würden wir einen Aufruhr verursachen und eine Wand aus menschlichen Leibern würde uns den Weg versperren. Außerdem hatte die MM Schusswaffen. Sollte sie die Verfolgung aufnehmen wollen, würden die Leute ihr viel schneller aus dem Weg gehen als uns.
    Wir mussten es zur Küche schaffen. Chase glaubte, dort könnten wir ungefährdet ein paar unauffällige Fragen zu dem Schleuser stellen, und der einzige Weg dorthin führte direkt an den Soldaten vorbei. Zwar würden wir nicht gleich festsitzen, wenn wir sie passiert hätten – von meinem Standort konnte ich noch andere Möglichkeiten sehen, den Platz zu verlassen –, aber es wäre überaus riskant. Die Soldaten wären dann gerade noch drei Meter von uns entfernt.
    Ich griff nach Chases Hand und drückte sie kurz, um die Frage zu übermitteln, die ich nicht laut zu stellen wagte. Nach einem kaum merklichen Zögern erwiderte er die Geste. Wir würden es tun.
    »Zieh deinen Kragen hoch«, kommandierte Chase, und ich beeilte mich, dem Folge zu leisten. Wir schlurften weiter. Leiber prallten von allen Seiten gegen uns, als wir zu der Engstelle vordrangen.
    Bitte, schaut nicht in unsere Richtung. Ich konzentrierte mich mit aller Kraft auf die beiden Soldaten.
    »Augen geradeaus.« Chase sprach so leise, dass nur ich ihn hören konnte. »Nicht stehen bleiben.«
    Schweiß rann über mein Gesicht, ein Umstand, der so gar nicht zu der kühlen Abendluft passen wollte, die über den vollgestopften Platz fegte. Meine Schläfen fühlten sich an, als wäre mein Kopf in einen Schraubstock eingespannt worden.
    Geh weiter, ermahnte ich mich in Gedanken.
    Gerade drei Meter von mir entfernt sah ich die Soldaten aus dem Augenwinkel. Einer der Soldaten, an dessen Ohr ein Funkgerät klebte, drehte sich gerade weg. Als ich ihn von hinten sah, fiel mir das hellbraune Haar und die schmale Statur auf, und plötzlich kam er mir sonderbar vertraut vor.
    Geh weiter.
    Wir kamen an den Lebensmittelkisten vorbei. Die Soldaten bewegten sich auf den offenen Platz zu.
    Ich kämpfte gegen das Bedürfnis, mich umzuschauen. Chase ging schneller und zog mich auf einem feuchten Gehweg um eine Ecke und aus dem Fußgängerstrom heraus. Hier war es nicht ganz so laut, und ich hatte das Gefühl, ich könnte zum ersten Mal seit mehreren Minuten wieder frei atmen.
    »Was machen die hier?«, fragte ich. Die MM stellte zwar auch zu Hause die Lebensmittel für die Suppenküchen bereit, überließ die Auslieferung aber freiwilligen Helfern. Ich hatte immer angenommen, das läge daran, dass es unter ihrer Würde war, sich mit armen Leuten abzugeben, die festzunehmen sie keinen Grund gefunden hatten.
    »Wahrscheinlich herrscht in dieser Stadt Lebensmittelknappheit.«
    »Das erklärt die Waffen«, kommentierte ich trocken. Je eher wir hier wegkamen, desto besser.
    Als wir unseren Weg fortsetzten, wurde mir beängstigend bewusst, wie sauber, wie wohlgenährt wir aussahen. Von den halb Verhungerten, die in der Nähe des Gehwegs

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