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Artikel 5

Artikel 5

Titel: Artikel 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristen Simmons
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und flackerte vor sich hin. Die trockene, abblätternde Farbe überzog die Decke mit Narben. Moder und Körpergerüche entströmten der Matratze, auf der ich lag. Ich hatte kein Kissen. Keine Decke.
    Wo war ich? Wie lange war ich schon hier? Es war egal. Nichts war mehr von Bedeutung.
    »Sie will nicht essen.« Gedämpft drang eine Stimme durch die Tür.
    »Das ist mir scheißegal.« Noch eine Männerstimme.
    »Mir auch«, schnaubte der Erste. »Aber sie stirbt uns noch vor dem Prozess weg, wenn sie so weitermacht.«
    »Dann ist sie eben tot. Wäre nicht das erste Mal.«
    Ich verschloss meine Ohren vor der gefühllosen Missachtung. Ich verschloss meinen Geist vor allen bewussten Eindrücken.
    Eine Hand rüttelte an meiner Schulter. Dann zwickte jemand brutal die empfindliche Haut an der Innenseite meines Arms. Der Schmerz war stark genug, dass ich die Augen aufriss. Offenbar konnte ich doch noch etwas spüren.
    »Du musst aufstehen. Steh auf!« Dieses Mal war es eine Frauenstimme, verzerrt vor Ärger. Ich stöhnte und drehte mich weg. Drückte das Gesicht an die kühle Betonwand.
    »Wenn du nicht damit aufhörst, bekomme ich Schwierigkeiten.«
    »Lassen Sie mich in Ruhe«, brachte ich mühsam hervor.
    »Die hattest du schon drei Tage lang. Jetzt musst du dich in Bewegung setzen.«
    Sie rüttelte erneut an meiner Schulter. Als ich mich auf den Rücken drehte, packte sie meine Arme und zog mich hoch, bis ich saß. In meinem Kopf war alles trübe und vernebelt.
    »Hey.« Sie versetzte mir einen Klaps auf die Wange. »Musst du kotzen?«
    »Nein«, antwortete ich kraftlos.
    »Hmpf. Du hast ja auch nichts, was du ausspucken könntest.«
    Sie legte mir eine Plastikschale auf den Schoß, in der etwas war, das aussah wie suppiger Haferbrei. Ich starrte sie nur verständnislos an.
    »Unfassbar«, kommentierte die Frau, füllte einen Löffel mit der Masse und steckte ihn mir in den Mund.
    Ich hustete und würgte. Aber die geschmacklose, lauwarme Pampe glitt über meine Kehle in meinen ausgehungerten Magen, und schon bald lief mir das Wasser im Munde zusammen, so gierte ich nach mehr.
    Ich aß und schenkte der Frau zum ersten Mal echte Beachtung. Sie hatte knorrige, arthritische Hände und tiefe Falten um den Mund. In ihrem Gesicht lag ein Ausdruck der Sorge, der so aussah, als würde er niemals ganz weichen können, und ihre Augen waren von einem beinahe durchsichtigen Blau. Es hätte mich nicht gewundert, wenn sie blind gewesen wäre, aber ihre Bewegungen sagten etwas anderes.
    Sie hatte welliges, graues Haar und trug einen marineblauen, gebügelten Rock und eine hochgeschlossene Bluse. Die Uniform bedeckte ihren Leib wie ein Jutesack Kartoffeln.
    Hast du mal von den Heilsschwestern gehört? , hörte ich Rosa in meinem Kopf sagen. Das ist die MM -Version der Frauenbewegung.
    Es war, als hätte ich die Reformschule nie verlassen.
    Das schmale Bett in der winzigen Zelle stand an der Wand und kollidierte am Fußende beinahe mit der Metalltoilette. Es blieb kaum genug Raum, dass die Frau vor mir stehen konnte, ohne dabei meine Knie zu berühren.
    »Wo bin ich?«, fragte ich sie. Meine Stimme klang brüchig. Sie war eine Weile nicht benutzt worden.
    »Gefangenenlager Knoxville.«
    Also hatten sie mich doch geschnappt.
    Und es wird nicht mehr lange dauern, dann bringen sie dich auch um, dachte ich auf völlig unbeteiligte Art.
    »Iss auf, Miller.« Sie klopfte an den Rand der Schale, und etwas von dem Inhalt kleckerte auf eines dieser Papierhemden, wie sie die Leute in Krankenhäusern trugen. Irgendwann hatte irgendwer mir meine Kleider genommen.
    »Sie kennen meinen Namen.« Meine neue Frisur hatte mich am Ende doch nicht tarnen können. Tja.
    Sie schnaubte nur. »Zieh das Kleid an. So kannst du nicht bleiben.«
    Ohne einen Gedanken an Sittsamkeit zu vergeuden, zog ich mich aus bis auf die Unterwäsche und schlüpfte in die zu groß geratene Heilsschwestern-Uniform, der nur das Taschentuch fehlte. Optisch passte ich nun recht gut zu der Frau mit den hellen Augen.
    »Und was jetzt?«, fragte ich.
    »Jetzt wartest du, bis jemand kommt, um dich zu holen.« Sie klopfte zweimal an die Tür. Jemand öffnete von außen, und sie huschte hinaus.
    Ich starrte die gegenüberliegende Wand an, und in meinem Kopf herrschte Leere.
    Irgendwann später hörte ich Schlüssel vor der Tür klimpern, dann ein metallisches Kreischen, und das Hindernis wurde entfernt und gab den Blick frei auf einen schlanken Soldaten mit breiter Brust. Sein Gesicht war

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