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Artikel 5

Artikel 5

Titel: Artikel 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristen Simmons
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seinem Kinn bekam, verkrampfte sie sich vor Schmerz. Aber ich schlug wieder zu. Und wieder. Er versuchte nicht einmal, mich aufzuhalten. Stattdessen legte er eine Hand unter meinen Ellbogen und lieferte mir so die Kraft, noch stärker zuzuschlagen.
    Als ich keine Schläge mehr hatte, faltete ich mich über meinem Purzelbäume schlagenden Magen zusammen. Ich war nicht besser als Roy, der meine Mutter geschlagen hatte. Ich wollte meinen Kummer durch Gewalt lindern. Wollte Chase zeigen, wie falsch er sich verhalten hatte. Eine Parallele, die meine Wirklichkeit unendlich verheerender erscheinen ließ.
    »Schon gut. Schlag mich. Ich verdiene es.«
    Als würde das irgendetwas besser machen. Als würde das irgendetwas in Ordnung bringen.
    »Nicht mehr«, stöhnte ich.
    Er hob ergeben die Hände. »Ember, ich tue, was immer du willst, aber bitte, lass mich dich an einen sicheren Ort bringen. Das war das Einzige, worum es bei all dem ging. Ich wusste, wenn du erst die Wahrheit herausgefunden hättest, würdest du so weit wie möglich von mir weg wollen, aber solange du geglaubt hast, deine Mom wäre in South Carolina, würdest du mir dorthin folgen. Und ich habe dir gleich gesagt, wenn du willst, dass ich danach verschwinde, mache ich das.«
    »Ich gehe nirgends mit dir hin.«
    »Bitte. Lass mich dich an einen sicheren Ort bringen.«
    All diese schmerzhaften Einschnitte im Inneren. All die Verluste. Meine Mutter. Chase. Beth. Rebecca. Vertrauen. Liebe. Mir war nichts geblieben als das Skelett der Unversehrtheit.
    »Nein.«
    »Wenn du nicht auf mich hören willst, dann tu es für sie. Lori wollte dich von all dem weghaben.«
    »Nicht!«, schrie ich ihn an. Ich konnte es nicht ertragen, ihren Namen zu hören.
    Er ließ den Kopf hängen. »Ich habe alles vermasselt. Von Anfang an. Ich habe dir gegenüber alles falsch gemacht. Dir und deiner Mutter gegenüber. Sie hat dich so sehr geliebt, Ember.«
    »Und deinetwegen ist sie jetzt tot!«
    Schlimmer, sie war auch meinetwegen tot. Hätte ich Chase nicht gesagt, dass er gehen soll, wäre er gar nicht erst zum Militär gegangen. Dann hätten sie ihn nie ins Visier genommen. Und sie hätten uns nie dazu missbraucht, ihn zu brechen. Durch eine Laune des Schicksals hatte ich meine eigene Mutter umgebracht. Ich empfand solch eine Scham, ich konnte es nicht aussprechen.
    Chase wippte auf den Fersen und stand auf. Ich wusste, ich hatte ihn verletzt, und ich hatte es absichtlich getan. Weil ich ihm wehtun wollte. Weil ich wollte, dass er genauso litt wie ich. Aber wie sollte er?
    »Ja«, sagte er nur. »Meinetwegen ist sie jetzt tot.«
    »Geh raus. Lass mich in Ruhe.«
    Minuten zogen dahin. Aber er ging. Ich hörte, wie er die Tür leise hinter sich schloss.
    Stundenlang schluchzte ich fest zusammengekauert vor mich hin. Ich weinte, bis ich keine Tränen mehr hatte. Und dann weinte mein Körper ohne Tränen weiter.
    Jedes Bild, das mir in den Sinn kam, peinigte mich. Jeder Gedanke führte zu dem gleichen Ergebnis.
    Ich war allein. Absolut allein.
    Als ich wieder zu Atem kam, zwang ich mich, aufzustehen, und stolperte zum Fenster. Ich hörte, wie Leute auf dem Korridor Chase fragten, was los war. Er antwortete nicht. Aber das war egal.
    Meine Arme waren schwer. Mein Kopf fühlte sich schwer an. Aufgedunsen.
    Luft. Fühlt sich gut an, dachte ich geistesabwesend.
    Ich glitt über den Sims und raus auf die Feuertreppe. Ich brauchte die Kälte, um das Fieber zu stoppen. Aber der Vorsprung war zu schmal. Doch ich konnte auf die Leiter klettern. Und auf die Straße. Von hier oben sah sie aus wie ein schwarzes Loch. Vielleicht konnte ich einfach darin verschwinden.
    Der Regen war besänftigend. Mir war, als wäre es eine Ewigkeit her, seit ich das letzte Mal so eine Besänftigung erfahren hatte. Er durchnässte meine Kleider, meine Haare, wusch das Salz von meinem Gesicht, drang mir über die tränenschweren Wimpern in die Augen und reinigte auch die.
    Ich lief. Und lief. Unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Ohne jede Erinnerung.
    Die Lichter überraschten mich nicht. Selbst meine Neugier vermochten sie kaum zu erwecken. Aber bald hielt der Wagen am Bordstein neben mir. Männer stiegen aus. Sie sprachen in barschem Ton mit mir, doch ich verstand nicht. Sie packten meine Arme, zerrten mich auf die Rückbank, wo der Regen mich nicht mehr erreichte.
    Scheppern an der Metalltür. Blinzelnd schlug ich die Augen auf und konnte doch nicht klar sehen. Eine Leuchtstofflampe über meinem Kopf summte

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