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Artikel 5

Artikel 5

Titel: Artikel 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristen Simmons
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hager, er hatte stechende, grüne Augen und goldenes, glatt zur Seite frisiertes Haar. Eine große Hand hielt ein Klemmbrett und einen Stift. Der andere Arm steckte vom Ellbogen an abwärts in einem Gipsverband.
    Gleich neben dem Schlagstock steckte eine Waffe in einem Halfter an seiner Hüfte. Ich überlegte, ob er wohl gekommen war, um mich zu erschießen, so wie Chases kommandierender Offizier meine Mutter erschossen hatte, und ich stellte erstaunt fest, dass es mich nicht sonderlich kümmerte. Wenigstens hätte der Albtraum dann ein Ende.
    Ein bisschen fühlte es sich an, als wäre das alles nur ein Traum. Ich hatte das Gefühl, ihn irgendwoher zu kennen. Puzzlesteine glitten gemächlich an ihren Platz, eines nach dem anderen.
    »Deine Hände sehen fürchterlich aus. Was hast du gemacht? Boxkämpfe?«
    Ich blickte an mir herab und dachte, dass meine Hände eigentlich doch ganz gut aussahen. Die Kruste war fort und hatte schmale, weiße Narben zurückgelassen. Die meisten der dunkleren Flecke waren verblasst. Ich wackelte mit den Fingern und spürte nur einen dumpfen Schmerz.
    »Du hast keine Ahnung, wer ich bin«, stellte er mit einem verstohlenen Blick zur Tür fest.
    Ich sah drei blasse Linien auf seinem Hals. Kratzspuren von Fingernägeln. Meinen Fingernägeln.
    »Tucker Morris.«
    »Ja«, sagte er gedehnt, so als gäbe es nichts Offensichtlicheres auf Erden.
    Stille.
    »Willst du gar nicht wissen, warum ich hier bin?«
    »Macht das noch etwas? Ich werde doch so oder so exekutiert.« Meine Stimme klang matt. Emotionslos.
    »Das ist morbid.«
    »Ist es denn falsch?«
    Er grinste einfältig. »Wo ist er?«
    »Ich weiß nicht, von wem Sie sprechen«, sagte ich und reckte das Kinn vor.
    »Informationen zurückzuhalten wird deine Lage nicht verbessern.«
    »Was wird sie denn verbessern?«, fragte ich säuerlich.
    »Nett sein, vielleicht.« Eine sonderbare Beschwingtheit lag in seinem Ton, fast als würde er mit mir flirten. Ich musste ein Würgen unterdrücken.
    »Ich werde nicht nett zu jemandem sein, der sich an der Ermordung unschuldiger Menschen beteiligt.« Die Worte brannten auf meiner Zunge, doch meinem toten Herzen konnten sie nichts anhaben.
    »Also hat er es dir erzählt? Ich dachte, dazu wäre er zu feige. Genau wie bei ihr.«
    Kurz blitzte Zorn in mir auf. Ich wollte ihn erneut kratzen, so wie ich es getan hatte, als er meine Mutter mitgenommen hatte. Aber das Bedürfnis schwand schnell, und alles, was blieb, war Verbitterung.
    »Sie sind ein Bastard, Tucker.«
    »Das könnte ich auch von dir behaupten.« Er grinste über seine eigene Schlagfertigkeit. »Aber du solltest aufpassen, was du sagst. So redet man nicht mit einem Soldaten.«
    Ich schnaubte verächtlich. Was sollte er schon tun? Mich umbringen? Da musste er sich wohl hinten anstellen.
    Er zögerte. »Jennings hat bereits Entführung einer Minderjährigen, Angriff mit einer tödlichen Waffe, Diebstahl von Bundeseigentum und ein Dutzend weiterer belangloser Anklagen auf die unerlaubte Abwesenheit draufgepackt. Einen wie ihn solltest du nicht beschützen wollen. Den Gefallen würde er, wie es aussieht, nicht erwidern.«
    Ich hatte ihm keine Chance gelassen, mich zu beschützen – ich war verschwunden, als er vor meiner Tür gewacht hatte. Bis er erkannt hatte, dass ich fort war, hatte man mich vermutlich schon in diese Zelle verfrachtet.
    Ich überlegte, was mir wohl zur Last gelegt wurde. Irgendwas im Zusammenhang mit der Flucht aus der Reformschule. Diebstahl und Angriff. Was sonst noch? Betrug wegen unserer von Regierungsseite nicht anerkannten Ehe? Aus irgendeinem Grund fand ich die Liste vage amüsant. Inzwischen war es mir sogar egal, ob sie mich als Heckenschützin brandmarkten.
    »Was machen Sie überhaupt hier? Ich dachte, Sie wären in der Transporteinheit oder so was.«
    »Ich wurde befördert. Bin auf der Überholspur. Wahrscheinlich werde ich bald Offizier.«
    »Herzlichen Glückwunsch.« Mein Ton störte ihn überhaupt nicht.
    »Dein Prozess wurde bis zum Ende der Woche verschoben.«
    »Verdammt. Haben Sie es nicht mehr geschafft, mich heute noch reinzuschieben?«
    »Ich habe drei zusätzliche Tage für dich rausgeschlagen, in denen du dir Gedanken über dein Schicksal machen kannst. Ich wollte sicherstellen, dass du wirklich erfährst, wie Haft aussieht. Als Gefälligkeit für unseren gemeinsamen Freund.« Seine Kiefermuskulatur arbeitete, während er sprach.
    Tucker war uneingeschränkt böse. Er war noch verachtenswerter als

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