Artikel 5
fest. Die beiden, die Wache hatten, werden eine ganze Woche im Lazarett bleiben müssen.«
»Hat dich eiskalt erwischt, der Bursche, was?«
»Halt’s Maul, Garrison. Du musst gerade reden. Immerhin habe ich mich nicht in der nächsten Ecke eingepisst.«
Leises Lachen. Dann ein Ächzen. Stoff, der über Linoleum rutschte. Schlüsselgeklimper. Eine Tür, die leise quietschend geöffnet wurde.
Nun waren sie schlechter zu hören. Wahrscheinlich befanden sie sich in einer Zelle. Dann hörte ich einen Rums an der Wand über meinem Bett. Die ließen ihr Opfer gleich nebenan. Eine Woge des Mitgefühls spülte über mich hinweg, und mein Herz schlug quälend für meinen neuen Nachbarn. Wenn er Soldaten angegriffen hatte, waren seine Aussichten gar nicht gut.
»Sein Kontrollblatt ist fertig.« Eine dritte Stimme, vermutlich der Wachmann, der seine Runde drehte. »Hält einer von euch Wache?«
»Sieh dir den doch an, Mann. Der atmet kaum noch. Wie kommst du darauf, dass der überwacht werden muss?«
»Will nur wissen, was ansteht, das ist alles.«
»Die Anweisung lautet, ihn hier bis morgen abzulegen. Morgen soll er dann als Erstes dem Gremium vorgeführt werden. Ich bin sicher, die haben sich was Nettes für ihn ausgedacht.«
Gelächter. Das Geräusch der schließenden Tür. Und allmählich verhallende Schritte.
Bis zum Morgen war danach nichts mehr zu hören, und ich fragte mich, ob mein Nachbar womöglich schon tot war. Sogar als das Licht summend aufflammte und das Ende der Ausgangssperre verkündete, ertappte ich mich noch dabei, wie meine Gedanken zu ihm abschweiften. Ich war stolz auf ihn, weil er gegen die Soldaten gekämpft hatte, und ich musste genauso tapfer sein, wenn ich diesen Tag überleben wollte.
Als ich hörte, wie der Schlüssel in meinem Schloss gedreht wurde, sprang ich auf. Die Pistole steckte sicher in meinem Büstenhalter, die dadurch entstandene Beule verbarg ich unter der Decke. Ehe ich ruhig genug war, mich der Tür zuzuwenden, musste ich mehrmals tief durchatmen, um mich zu sammeln. Und trotzdem hätte ich in dem Moment, in dem ich Delilah sah, beinahe die Waffe gezogen und auf sie gezielt.
Sie musterte mich neugierig vom Scheitel bis zur Sohle. Was gestern Abend ihrer Meinung nach zwischen Tucker und mir vorgefallen war, konnte ich jedoch nur raten.
»Morgen.« Ich bemühte mich um einen Ton, der andeutete, dass mir vor dem Tag grauste, was in gewisser Weise durchaus der Fall war.
»Komm und beeil dich«, blaffte sie und machte sich auf in Richtung Lagerraum. Ein Wachmann huschte vorüber, und ich bekam eine Gänsehaut. Mir war, als würde er mich beobachten. Als wüsste er, was ich vorhatte.
Ich musste mich beruhigen.
Kaum im Lager, fing Delilah an, Handtücher von der Wand zu zerren. Mir reichte sie einen Eimer, den ich mit Wasser füllen sollte. Ich atmete tief durch und stellte ihn auf den Boden.
Jetzt oder nie.
Ich kehrte ihr den Rücken zu und griff überaus langsam nach der Waffe.
»Delilah, ich muss …«
»Delilah! Hatte ich dir nicht gesagt, du sollst dich beeilen?«, brüllte ein Wachmann auf der anderen Seite des Korridors.
Nein! Jemand hatte ihr bereits Anweisungen erteilt, was bedeutete, dass man nach ihr sehen würde, sollte sie nicht auftauchen.
»Beeilen, beeilen, beeilen«, murrte sie mit angespannter Stimme. »Habe ich dir nicht gesagt, du sollst den Eimer füllen?«
»J-ja«, stammelte ich und tat wie mir geheißen. Mein Plan würde warten müssen, bis diese Soldaten Delilah nicht länger benötigten.
»In einer Stunde kommt ein Offizier, der mit dem Insassen von Zelle vier reden will«, erzählte sie. »Den haben sie letzte Nacht hergebracht. Sieht ziemlich schlimm aus. Immer noch bewusstlos. Weck ihn auf, damit man ihn befragen kann.«
Wozu?, dachte ich und erinnerte mich, wie Delilah mich geweckt hatte, ehe Tucker zu mir gekommen war.
»Was machen Sie?«, fragte ich. Bisher hatte man mich nicht allein arbeiten lassen.
»Zelle zwei hat sich letzte Nacht die Pulsadern aufgeschnitten. Jemand muss da aufwischen und die Leiche ins Krematorium bringen.«
Unfähig, das Gesicht des Soldaten aus meinem Bewusstsein fernzuhalten, schauderte ich. Dichte Brauen, sommersprossige Wangen. Erst gestern Abend hatte ich ihm Essen gebracht.
»Das kann ich machen«, sagte ich. »Ich bringe die Leiche weg. Dann können Sie sich um Zelle vier kümmern.«
Sie schnaubte. Der Soldat auf dem Korridor hatte schon wieder nach ihr gerufen.
»Die wollen, dass das schnell
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