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Artikel 5

Artikel 5

Titel: Artikel 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristen Simmons
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sicher, dass es nicht gespielt war, weshalb ich ihre Stimme ausblendete und mein Aussehen im Spiegel überprüfte.
    Ich war nie im herkömmlichen Sinne hübsch gewesen. Sicher, ich hatte große braune Augen und lange Wimpern, aber meine Brauen hatten nicht den passenden Schwung und meine Nase war ein wenig krumm. Und jetzt hatte ich auch noch eine gräuliche Hautfarbe – nicht so anders als das Mädchen, das die Soldaten in das Gebäude eskortiert hatten – und meine Wangenknochen stachen zu sehr hervor, als wäre ich in den letzten paar Stunden um zehn Hungerjahre gealtert. Die blaue Uniform war noch schlimmer als meine Schuluniform, wahrscheinlich, weil ich sie hundertmal so sehr verabscheute.
    Ich zwang mich, tief Luft zu holen. Mein Haar roch nach den synthetischen Sitzbezügen in Schulbussen. Rasch glättete ich es mit den Händen und band es zu einem ungleichmäßigen Knoten hoch.
    »Zeit für den Unterricht«, flötete Rebecca und sicherte sich so meine Aufmerksamkeit.
    Mein Gehirn fing an, meine Möglichkeiten durchzugehen. Ich musste ein Telefon auftreiben. Zuerst würde ich es zu Hause versuchen, nur für den Fall, dass die MM meine Mutter freigelassen hatte. Und falls nicht, würde ich Beth anrufen und sie fragen, ob sie irgendetwas darüber gehört hatte, wo sie die Leute hinbrachten, die gegen Artikel verstoßen hatten.
    Als mein Blick auf Rebecca fiel, stellte ich fest, dass sie sich übertrieben darauf freute, mich herumzuführen. Als studentische Hilfskraft hatte sie eine gewisse Machtposition inne, und vermutlich würde sie mich verpfeifen, wenn ich aus der Reihe tanzte. Sie sah ganz so aus, als wäre sie genau der Typ.
    Ich würde sehr vorsichtig sein müssen.
    Ein paar Minuten später waren wir unterwegs zu dem Pavillon gleich gegenüber der Cafeteria, wo sich an die hundert Mädchen herumtrieben. Es war beinahe wie an einer Highschool – das Geflüster und der Tratsch, der allen Neuen vorauseilte, waren auch hier allgegenwärtig –, aber die Stimmung war zu ernst. Statt neugierig zu sein, schienen sie uns zu fürchten. So als könnten wir irgendetwas Verrücktes anstellen. Die Reaktion wirkte umso sonderbarer, wenn man bedachte, dass ich ihnen gegenüber genauso empfand.
    Als die Glocke läutete, erstarben alle Gespräche. Mädchen huschten zu ihren Klassenräumen, wo sie sich alle gleichförmig in Reihen aufstellten. Rebecca zog an meinem Arm, und ich folgte ihr wie eine Puppe und gestattete ihr, mich an meinen Platz zu bugsieren. Im ganzen Pavillon herrschte Stillschweigen.
    Augenblicke später tauchten Soldaten auf, die für jede Reihe Vorhut, Nachhut und Flanken stellten. Ein junger Mann mit pockennarbigen Wangen und dem Körperbau eines Wiesels ging auf dem Weg in den hinteren Bereich an mir vorbei. RANDOLPH stand auf seiner Uniform. Ein anderer, der ganz vorn in der Reihe stand, sah im Vergleich dazu beinahe strahlend aus. Sein Kinn war glatt rasiert, sein Haar sandfarben. Man hätte ihn attraktiv nennen können, wären seine blauen Augen nicht so leer gewesen.
    Was machte die MM , um ihren Leuten derart die Seele auszusaugen? Ich verbannte rasch die automatische Beschwörung von Chase aus meinem Geist.
    »Ms Lansing«, sagte der beinahe attraktive Soldat.
    »Guten Morgen, Mr Banks«, antwortete sie in süßem Ton. Er bedachte sie mit einem knappen, emotionslosen Nicken, als wollte er ihr Anerkennung für die Aufstellung der Mädchen in ihrer Reihe zollen. Die ganze Interaktion wirkte unbeholfen und gezwungen.
    »Hola, Princesa« , flüsterte es hinter mir. Ich drehte mich um und sah Rosa. Sofort fiel mir auf, dass sie sich geweigert hatte, die Bluse ordentlich in den Rock zu stecken. Das rothaarige Mädchen hinter ihr – ihre Zimmerkameradin, nahm ich an – hatte eine tadelnde Miene aufgesetzt. Offensichtlich war sie nicht zufrieden mit ihren neuen Lebensumständen.
    Ihr rotes Haar erinnerte mich daran, wie sehr mir Beth jetzt schon fehlte.
    Rosa in meiner Nähe zu haben war tröstlich. Sie mochte grob sein, aber sie war auch real, und als die Glocke schellte und die Reihen sich auflösten, blieben wir dicht beisammen, verbunden in unserem gemeinsamen Misstrauen gegenüber den anderen.
    Wir folgten Rebecca die Stufen hinunter, vorbei an der Wäscherei, der medizinischen Ambulanz und einem flachen Ziegelgemäuer, vor dem ein Hydrant stand. Dort scherten die Siebzehnjährigen aus den anderen Reihen aus und marschierten über eine Grasfläche zu einem Pfad, der uns zwischen zwei hohen

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