Artikel 5
Steinbauten hindurchführte. Aufmerksam sah ich mich um und versuchte, eine mentale Karte des Geländes in meinem Kopf anzulegen. Wie es schien, gab es nur einen Weg hinein und hinaus: den durch das Haupttor.
Als Rosa wieder das Wort ergriff, war kaum mehr zu hören als ein Atemzug.
»Pass auf, jetzt kannst du was lernen.«
Ich drehte mich um, doch da war sie schon weg.
Den Rock bis zu den Hüften gerafft verschwand Rosa zwischen den beiden Gebäuden. Die Soldaten brüllten etwas, Worte, die ich nicht verstehen konnte, weil schon jetzt das Adrenalin in meinem Körper wütete. Einer rannte sofort hinter ihr her. Ein anderer griff zu seinem Funkgerät und erteilte einige knappe Anweisungen, ehe er seinem Kameraden folgte. Die Mädchen flüsterten aufgeregt miteinander, aber keines rührte sich von der Stelle.
Das Blut pulsierte in meinen Schläfen. Wo wollte sie hin? Hatte sie einen Ausweg gesehen, der mir entgangen war?
Plötzlich kam mir der Gedanke, dass ich in die Gegenrichtung rennen sollte. Rosa hatte die Soldaten und den Rest der Siebzehnjährigen abgelenkt; vielleicht merkten die gar nicht, wenn ich mich davonstahl. Ich konnte die Stufen wieder hinauf und zurück zum Vordereingang laufen … und dann? Im Gebüsch verstecken und warten, bis ein Wagen vorbeikäme, um mich hinter ihm wegzuschleichen? Genau. Das würde natürlich niemand merken. Während der Busfahrt waren seit den frühen Morgenstunden, noch vor Anbruch der Dämmerung, keine Spuren von Zivilisation erkennbar gewesen, und ich konnte wohl kaum in einer Reformschuluniform den Highway hinunterspazieren, ohne dass irgendjemand mich meldete.
Denk nach!
Ein Telefon. Irgendwo im Wohnheim musste es eines geben. Oder in der Ambulanz. Ja! Die Mitarbeiter mussten eines haben, für den Fall, dass jemand ernsthaft verletzt war. Die Ambulanz war ganz in der Nähe; wir waren erst vor Minuten daran vorbeigegangen. Sie war gleich neben dem Ziegelgemäuer mit dem Feuerhydranten.
Alle Augen richteten sich nach wie vor auf die Gasse zwischen den Gebäuden, über die Rosa verschwunden war. Sogar die Soldaten, die bei uns geblieben waren, starrten alle in diese Richtung. Die Luft schien zu knistern. Ich tat einen vorsichtigen Schritt zurück. Gras raschelte leise unter meinen neuen flachen Schuhen. Jetzt oder nie, lautete die Parole.
Dann spannte sich eine Hand fest um meinen Unterarm. Als ich nach rechts herumwirbelte, schossen Rebeccas blaue Augen eisige Pfeile auf mich ab. Ihr Zorn war erstaunlich. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie zu so etwas fähig war.
Nein , formte sie tonlos mit den Lippen. Ich versuchte, sie abzuschütteln, aber sie packte nur noch fester zu, und ich fühlte, wie sich ihre Fingernägel in meine Haut gruben. In der Morgensonne sah ihr Gesicht inzwischen fast weiß aus.
»Lass los«, sagte ich leise.
»Sie haben sie!«, brüllte jemand.
Alle Mädchen, Rebecca und ich eingeschlossen, schoben sich neugierig näher an die Lücke zwischen den Gebäuden heran. Ich schaffte es, mich aus dem Griff meiner Zimmergenossin zu befreien, aber das änderte nun auch nichts mehr. Der Moment war vorbei. Die Soldaten beobachteten uns wieder, nun, da Rosa geschnappt worden war. Sollte eine von uns sich gemüßigt sehen, in ihre Fußstapfen zu treten, waren sie vorbereitet. Rebecca hatte meine Chance zunichtegemacht.
Ich drängte mich zwischen zwei Mädchen und sah Rosa, die am Ende des Weges in eine Sackgasse geraten war und in der Falle saß. Unsere beiden Wachen versuchten, sie einzufangen. Sie hatten die Arme weit ausgebreitet und kauerten sich tief herab, so als wollten sie Hühner fangen. Rosa kreischte, als sie mitten hindurchbrach und zurück zu der Gruppe glubschäugiger Siebzehnjähriger rannte. Der hässliche Soldat war schneller, rammte sie von der Seite und schickte sie zu Boden.
»Nein!«, brüllte ich und versuchte, zu ihr zu gelangen. Ein neuer Soldat tauchte auf und verstellte mir den Weg. Die Haut spannte sich über sein Gesicht, und sein tückischer Blick ließ mich schaudern.
Versuch es nur, schien er zu sagen, und du bist die Nächste.
Alle sahen zu, als der johlende, pockennarbige Randolph die um sich schlagende Rosa mit dem Knie fixierte, das er ihr brutal zwischen die Schulterblätter gerammt hatte. Als er wieder bei Atem war, zerrte er sie hoch und fesselte ihr die Hände mit einem Kabelbinder hinter dem Rücken.
Und dann schlug er sie.
Mein Magen verkrampfte sich vor Entsetzen, als Blut aus Rosas Nase
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