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Artikel 5

Artikel 5

Titel: Artikel 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristen Simmons
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gelten nur dann als rechtmäßige Bürger, wenn sie von einem verheirateten Paar gezeugt werden. Alle anderen Kinder sind aus ihrem Zuhause zu entfernen und Resozialisierungsmaßnahmen zu unterziehen.
    Alle Artikel hatten eines gemeinsam: Verstöße ermöglichten eine vollumfängliche Strafverfolgung durch das Federal Bureau of Reformation.
    Aber was bedeutete das, Strafverfolgung ? Resozialisierung? Ich überlegte, ob meine Mutter gerade in einem ganz ähnlichen Raum war wie ich und die Statuten las oder ob sie auf ihre Verhandlung wartete, womöglich sogar im Gefängnis. Oder hatte Chase sie vielleicht gehen lassen, und sie wartete bereits zu Hause darauf, dass ich sie anrief und ihr sagte, wo ich war?
    Ich reckte eine Hand hoch.
    Die Schwester, die der Klasse vorstand, erhob sich hinter ihrem Schreibtisch und kam auf mich zu. Aus der Nähe erkannte ich, dass sie jünger war, als ich ursprünglich angenommen hatte. Mitte dreißig, vielleicht. Aber ihr grau meliertes Haar und die müden Augen ließen sie viel älter erscheinen.
    Ein übelkeiterregendes Schaudern befiel mich. Die Schwestern machten mit Frauen, was die MM mit Männern machten: Sie raubten ihnen die Seele und unterzogen, was übrig blieb, einer Gehirnwäsche.
    »Ja?«, fragte sie, sah mir aber nicht so ganz in die Augen.
    »Ich muss aufs Klo.« Rebecca, die vor mir saß, zuckte zusammen, sah sich aber nicht um.
    »In Ordnung. Randolph, bitte eskortieren Sie Ms Miller zur Toilette.«
    »Ich finde sie schon allein«, sagte ich rasch und errötete. Was bin ich, fünf Jahre alt?
    »Das ist das übliche Prozedere«, antwortete sie und kehrte zu ihrem Tisch zurück.
    Ich stand auf und nagte nervös an meiner Unterlippe. Allein mit diesem Soldaten wollte ich nirgends hingehen. Auch wenn er Rosa nicht geschlagen hätte, wäre er mir viel zu unheimlich gewesen.
    Stumm führte er mich hinaus und achtete stets darauf, dass ich nicht direkt in seinem Rücken war, sondern ein wenig versetzt ging, sodass er mich aus dem Augenwinkel im Blick behalten konnte. Unterwegs füllte ein Bild von Chase meinen Geist aus – Chase, der Soldat, in einer Uniform, wie Randolph sie trug, mit dem gleichen Schlagstock, der gleichen Schusswaffe. Was mochte er wohl gerade tun? War er bei meiner Mutter? War er bereit, sich Morris’ gezogener Waffe in den Weg zu stellen, um sie zu schützen, so wie er es für mich getan hatte? Denn hier war niemand zur Stelle gewesen, um Randolphs Fäusten den Weg zu versperren.
    Streng vertrieb ich ihn aus meinen Gedanken.
    Nachdem wir das Klassenzimmer verlassen hatten, gingen wir einen mit Linoleum ausgelegten Flur hinunter zum Haupteingang. Sonnenschein drang durch die Fenster herein. Draußen sah es beinahe sommerlich aus.
    Gleich neben dem Haupteingang gab es eine Damentoilette. Ich huschte hinein und wartete einen Moment, um mich zu vergewissern, dass Randolph mir nicht folgen würde. Als er das nicht tat, hastete ich zum Klo und entfernte den Porzellandeckel vom Spülkasten.
    Etwas kann ich über das Leben ohne Vater berichten: Man lernt eine Menge über Problemlösung und Reparaturarbeiten im Haus. Ich brauchte nur eine Sekunde, um die Kette zu lösen, die das Ablassventil öffnete, und den Deckel wieder aufzulegen.
    Einen Moment später war ich wieder draußen auf dem Korridor.
    »Die Toilette ist kaputt«, sagte ich zu ihm. Wie erwartet schob er sich an mir vorbei, um selbst nachzusehen.
    Offenbar war Randolph nicht mit monatlicher Unterstützung durch den Staat aufgewachsen. Seine Familie hatte sich vermutlich leisten können, einen Klempner zu rufen. Er zog einige Male an dem Hebel, und die Spülung funktionierte nicht, aber er machte sich nicht die Mühe, den Deckel des Spülkastens abzunehmen, um nach der Kette zu sehen.
    »Gibt es nicht irgendeine andere Toilette«, jammerte ich.
    Er nickte und meldete das Problem über Funk, als wir nach draußen gingen. Die frische Luft, die durch die lockeren Maschen des Pullovers drang, wirkte belebend. Wir wandten uns nach links und folgten einem Pflasterweg um das Haus herum zu der Stelle, an die Rosa vor mehreren Stunden geflüchtet war.
    »Da!«, rief ich und ging etwas schneller an der Gasse vorüber, wo ich im Geiste immer noch sehen konnte, wie Randolph sie schlug. »In der Ambulanz gibt es doch bestimmt eine Toilette, nicht wahr?«
    Wir waren nur noch zwanzig Meter entfernt. Ein skeptischer Ausdruck huschte über sein Gesicht, und für einen Moment dachte ich, er würde mir widersprechen,

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