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Artikel 5

Artikel 5

Titel: Artikel 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristen Simmons
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näherten sich. Jemand war dicht bei uns. Wieso hatten wir ihn nicht gehört? Ich hatte mich zu sehr auf den Zaun konzentriert, darauf, danke zu sagen, und darauf, was ich tun würde, wenn ich einmal draußen wäre. Idiot!
    Hatte Sean davon gewusst? War das eine Falle? Natürlich hatte er nicht gewollt, dass Rebecca mitkommt! Er hatte die ganze Zeit vorgehabt, mich reinzulegen.
    Mein Puls donnerte in meinen Adern. Ich wickelte die Arme um die Leibesmitte, als könnte dieser Schild eine Kugel aufhalten. Der hektische Lichtschein einer Taschenlampe ging den zwei Soldaten voraus, die durch die Nacht schritten.
    Randolph. Und ein anderer schlaksiger Kerl mit dicken, abschätzig hochgezogenen Brauen.
    Ihr Licht blendete mich vorübergehend. Ich hörte das Rascheln von Leder und Stoff. Und dann ein metallisches Klicken.
    »Wollte sie fliehen?«, fragte der schlaksige Wachmann. Der Lichtstrahl entfernte sich, und ich sah, dass sowohl er als auch Randolph ihre Waffen erhoben hatten und direkt auf meine Brust zielten.
    Ich konnte nicht atmen.
    »Sieht aus, als wäre sie direkt zu mir geflohen«, kommentierte Randolph.
    Sean grinste – ein Grinsen, das ich nie zuvor an ihm gesehen hatte, nicht einmal in Rebeccas Gegenwart – und meine Ängste wurden bestätigt. Dann, zu meinem Entsetzen, hob er die Hand, ganz ruhig, und hielt mein Haar fest. Ich zuckte weg.
    »Tja«, sagte er, »das ist schon peinlich.«
    Randolph schnaubte. Seans Hand wanderte über meinen Rücken zu den Hüften, ehe er mich beinahe spielerisch fortstieß. Ich stolperte, konnte mich aber noch abfangen, und alle drei lachten.
    »Geh zurück in dein Zimmer, Schätzchen«, sagte Sean. »Und kein Wort über das hier, wie wir es besprochen haben.«
    Ich brauchte eine Minute, um mitzukommen.
    »Ich hatte erst in ungefähr einer Stunde mit der nächsten Wachrunde gerechnet«, fuhr Sean ungerührt fort und richtete seine Hose, ganz so, als hätten wir eben das getan, was er in den meisten Nächten hier draußen mit Rebecca tat.
    Mädchen wurden exekutiert, wenn sie zu fliehen versuchten, aber nicht, wenn sie mit einem Soldaten rummachten. Er gab mir eine Chance. Eine Möglichkeit zu überleben. Sosehr ich auch hier weg wollte, ich durfte diesen Ort nicht in einer Holzkiste verlassen.
    Ich wollte zurück zum Wohnheim laufen, doch Randolph sprang mir in den Weg. Eine Sekunde später quetschten seine Hände meine Hüften, und sein Knie drängte sich zudringlich zwischen meine Beine. Sein herber Atem sammelte sich vor meinem Mund.
    »Bleib doch noch ein bisschen«, flüsterte er, und mich packte das Entsetzen. Ich wehrte mich gegen ihn und wurde Sean in die Arme geworfen.
    »Müll« , geiferte Randolph. »Reformschulmüll.« Wieder lachten sie, lachten und lachten, und obwohl das allem zuwiderlief, woran ich glaubte, schämte ich mich. Ich konnte nicht anders.
    Seans Grinsen war längst nicht mehr so wagemutig wie vorher. Ich klammerte mich an ihm fest, weil ich nicht wusste, wohin ich mich sonst hätte wenden können.
    »Du wirst nachlässig, Banks«, sagte der hagere Soldat. »Die Direktorin hat uns angewiesen, ein Auge auf dich zu haben, aber wir dachten, du hättest es mit der Blonden, nicht mit der da.«
    »Ich habe immer gesagt, die ist es«, widersprach Randolph. »Er hat sie angestarrt.«
    Er hat mich angestarrt, weil er Angst hatte, ich könne Brock sein Geheimnis offenbaren, dachte ich.
    Langsam wurde klar, was hier passierte. Sie hatten Sean eine Falle gestellt, nicht mir. Sie misstrauten ihm, weil er sich verändert hatte, seit er von mir erpresst wurde.
    Lauf nicht weg , hatte Sean geflüstert. Alles in mir verlangte nach dem Gegenteil. Schon bewegten sich meine Fersen in den Schuhen, bereit, jede Sekunde loszurennen. Aber würde ich das tun, so würden sie mich höchstwahrscheinlich erschießen.
    Randolph lachte. »Ich könnte das unter den Tisch kehren, Banks.« Er hob seine Waffe ein paar Zentimeter höher. Der Kerl wollte mich erschießen.
    Ich würde sterben.
    Ich dachte nicht an meine Mutter oder ob ich ein guter Mensch gewesen war, ein gutes Leben geführt hatte – all diese Dinge, über die man angeblich nachdenkt, wenn man den Tod vor Augen hat. Ich sah nur ein Gesicht vor meinem geistigen Auge und auch nur für einen Moment. Das Gesicht gerade der Person, die mir ganz bestimmt kein Trost sein konnte.
    Chase. Schwarzes, zotteliges Haar, kupferfarbene Haut, die sanft im leichten Regen glänzte. Seine dunklen Augen schauten direkt in meine Seele.

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