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Artikel 5

Artikel 5

Titel: Artikel 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristen Simmons
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aber beide waren gleichermaßen schlimm.
    »Weißt du, wenn du die Altersgrenze erreicht hast, dann muss von Rechts wegen niemand mehr nach dir suchen«, klärte sie mich auf.
    Ich konnte nicht warten, bis ich achtzehn wurde, aber etwas in ihrem Tonfall verriet mir, dass sie so oder so nicht von mir sprach.
    »Ist das der Grund, warum du und Sean nicht geflohen seid?«
    Sie nickte. »In drei Monaten bin ich in Sicherheit. Aber wenn er sich je entschließt zu gehen, dann könnte das FBR ihn umbringen.«
    Also blieb sie freiwillig. Um einen Soldaten zu schützen.
    Zweifelnd schüttelte ich den Kopf. »Die würden doch keinen ihrer eigenen Leute töten.«
    »Du irrst dich. Das Gremium würde ihm den Prozess machen. Wenn er unentschuldigt fehlt und sie ihn erwischen, dann werden sie ihn exekutieren. So ist das heutzutage. Und wenn du das nicht glaubst, dann denk mal daran, warum du hier bist.«
    Die Luft zwischen uns schien stillzustehen, und meine Gedanken verzweigten sich zu einem gefährlichen Ort. Wenn Sean exekutiert werden konnte, drohte meiner Mutter dann das Gleiche? Es kam mir unwahrscheinlich vor, aber nicht unmöglich.
    Ich musste hier raus. Schnell.
    Zwei Nächte vergingen, bis Sean sich einen Plan zurechtgelegt hatte.
    Wir saßen im Unterricht und lasen ein Merkblatt mit dem Titel »Kleiderordnung für Damen«, als er meine Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Ein leichtes Nicken seinerseits, und ich reckte unverzüglich die Hand hoch und bat um Begleitung zur Toilette. Ehe die Schwester Randolph auffordern konnte, mich hinzubringen, trat Sean vor, öffnete die Tür und scheuchte mich den Korridor hinunter.
    Kaum waren wir außer Hörweite der anderen, erklärte er mir hastig, die Direktorin hätte ihn angewiesen, für einen anderen Soldaten einzuspringen, der beurlaubt würde, was bedeutete, dass er seine übliche Zaunrunde in Doppelschicht absolvieren musste. Wenn das passierte, würde er mich zum Zaun bringen und woanders hinsehen, während ich hinüberkletterte.
    Es hörte sich einfach an, war aber alles andere als unproblematisch. Zunächst würden bis dahin noch acht Tage vergehen. Zweitens war ich, sobald ich den Zaun hinter mir hatte, auf mich allein gestellt, was auch bedeutete, dass ich grob vier Stunden und fünfzehn Meilen ganz allein durch die Wildnis der Appalachen wandern musste. Und drittens musste ich, sobald ich die nächste Tankstelle erreicht hatte, eine Mitfahrgelegenheit nach Hause ergattern, was hieß, ich musste einen bereitwilligen Zivilisten mit einem Fahrzeug finden, der sich um die Benzinpreise keine großen Sorgen machte.
    »Du musst schnell machen«, riet mir Sean. »Wenn die erst herausgefunden haben, dass du weg bist, werden sie dich suchen, und dann kann ich nichts mehr für dich tun.«
    Ich nickte, und obwohl die Schwellung an meinem Hals zurückgegangen war, fühlte ich nun einen neuen Kloß an der gleichen Stelle. Der Plan war fürchterlich, aber er war alles, was ich hatte. Eine lange Zeit sah er mich nur an, so als wunderte er sich, dass ich seinen Vorschlag ernsthaft in Erwägung zog. Ich hatte keine Ahnung, ob er mich für tapfer hielt oder für dumm. Vermutlich Letzteres.
    »Es wäre für alle das Beste, wenn du einfach warten würdest, bis du die Altersgrenze erreicht hast, Miller.«
    »Ich kann nicht warten«, sagte ich entschlossen. »Nicht, nachdem ich weiß, dass meine Mom auch an so einem Ort sein könnte.«
    Seine Miene war ausdruckslos. Ich fragte ihn, ob er irgendetwas über meine Mutter wusste, was er verneinte. Zwar überlegte ich noch, ob er vielleicht doch mehr wusste, als er zugeben wollte, doch da wir uns jetzt schon auf einem recht schmalen Grad bewegten, sagte ich nichts weiter. Nur aufgrund eines vagen Verdachts wollte ich nicht riskieren, was er mir angeboten hatte. Außerdem bestimmt üblicherweise der Typ mit der Waffe, wo es langgeht.
    Also hielt ich mich zurück.
    Rosa kehrte am nächsten Nachmittag zurück. Während Brocks Lektion über gesellschaftliche Etikette saß sie schweigend neben mir. Keine abfälligen Witze, kein dreistes, zahnlückenbehaftetes Grinsen. Ihre Augen über den halbmondförmigen Blutergüssen, die Randolphs Faust hinterlassen hatte, blickten nicht mehr rebellisch, sondern ausdruckslos. Hohl. Sie war innerlich so leer wie das Mädchen, das wir gleich nach unserer Ankunft gesehen hatten.
    Nun hegte ich keinen Zweifel mehr daran, dass der Schrei, den ich gehört hatte, als ich in der Ambulanz gewesen war, von Rosa gekommen war.

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