Artikel 5
unter meinen Fingernägeln aufriss. Alles, was ich tat, war rein instinktgesteuert, so als hinge mein Überleben direkt davon ab. Ich sah verschwommene Bilder, größtenteils bestehend aus Blau und etwas Grau, als mir Rebecca entgegengeschleudert wurde. Jemand schrie. Ein Mädchen kreischte.
Stählerne Arme umfingen meine Leibesmitte. Ich schlug um mich.
»Rebecca!« Verzweifelt sah ich mich nach ihr um. Dichter Schnee fiel von einem schweren, schwarzen Himmel. Wir waren draußen. Einer der Soldaten, die mich hielten, rutschte aus, und wir stürzten den Zementstufen entgegen, bis er wieder im Gleichgewicht war. Sein lautes Fluchen übertönte das Klingeln in meinen Ohren. Dann gingen wir rückwärts die Stufen hinunter, und mein Magen hob ab, als würde ich in einem bodenlos tiefen Pool tauchen. Warmes Blut breitete sich in meinem Mund aus. Ich hatte mir schon wieder in die Wange gebissen.
»Lasst mich los!«, donnerte ich.
»Halt’s Maul«, bellte einer der Soldaten.
Sie rissen so sehr an meinen Armen, dass meine Schultern schmerzten. Aus dem Augenwinkel sah ich die Cafeteria auf der linken Seite vorüberziehen. Mehr Stufen. Ich brauchte eine Weile, um mich auf dem unteren Campus zurechtzufinden. Wir waren in der Nähe der Ambulanz. Eine Metalltür wurde aufgestoßen. Zu meiner Rechten sah ich den Hydranten im Scheinwerferlicht trotzig rot vor dem weißen Schnee schimmern.
Ich war in der Hütte.
Sie ließen mich kurzerhand auf den feuchten Zementboden fallen. All meine zitternden Extremitäten wollten sich in meinen Torso zurückziehen. Ein Soldat hielt mir seinen Knüppel vor die Nase, und ich zog das Kinn fest an die Brust, damit er mir nicht wie Randolph auf den Hals schlagen konnte.
»Lass deinen dürren Arsch am Boden«, kommandierte er.
Der Raum war klein. Eine einzelne Birne hing in der Mitte des Zimmers von der Decke herab. Rechts von mir sah ich eine helle Nische, die aussah wie eine große Dusche, und links war eine Art dunkler Schrank mit Betonwänden, aber ohne Regalbretter oder Kleiderbügel. Eine Einzelzelle.
Ehe ich endgültig vor Angst erstarren konnte, rutschte ich in eine Ecke, drückte den Rücken an die Wand und wartete.
Endlose Sekunden dehnten sich zu quälenden Minuten. Ich sah ihre Gesichter. Seans, als die Soldaten uns erwischt hatten. Rebeccas, vor Sorge verzerrt. Was hatte ich ihnen angetan? Und, schlimmer, was hatte ich nicht getan? Ich sollte jetzt draußen sein und zurück nach Hause und zu meiner Mutter laufen. Welchen Preis musste sie für mein Versagen zahlen?
Endlich öffnete sich knarrend die Tür, und eine Frau schlüpfte herein. Mein Magen drehte sich um.
Brock.
Sie hatte sich eine frische Heilsschwestern-Uniform übergeworfen, und ich sah ein Pflaster an ihrer rechten Wange. In dem Licht der einzelnen, gelben Glühbirne wirkte ihre Haut, als wäre sie gelbsüchtig, und dennoch war die Zornesröte erkennbar, die ihre strengen Züge überzog.
»Ms Miller, ich bin sehr enttäuscht von Ihnen.«
»Was haben Sie mit Rebecca gemacht?« Ich erhob mich. Meine Beine zitterten, ob aus Angst oder wegen einer bösen Vorahnung, vermochte ich nicht zu sagen. Tränen brannten in meinen Augen, aber ich blinzelte dagegen an. Ich wollte nicht, dass sie mich weinen sah.
»Sie sind ein sehr böses Mädchen. Von der schlimmsten Sorte. Der Wolf im Schafspelz. Wir werden diese Maske zerstören und das Innere umgestalten müssen, das ist mir nun klar geworden.«
»Was …?« Ich wusste zwar nicht, was sie meinte, aber mir graute.
»Wachen, bringen Sie Ms Miller in die Reinigungskammer.«
Die Reinigungskammer. Die Nische, die aussah wie eine Dusche. Einer der Soldaten hantierte bereits mit einem Feuerwehrschlauch. Neben ihm sah ich lederne Handfesseln, die mit einer Kette am Boden befestigt waren. Sein Schlagstock lag griffbereit daneben. Er wollte mich fesseln und schlagen und mich vielleicht sogar mit dem Schlauch abspritzen. Für einen Sekundenbruchteil sah ich Rosa vor mir, ausgestreckt auf dem Boden, sah ihr Blut in den Abfluss rinnen, während der Wasserstrahl brutal auf ihren Körper eintrommelte.
Schützend umklammerte ich meinen Oberkörper mit den Armen und krallte die Fäuste in mein Shirt.
»Nein«, flüsterte ich.
Zwei Wachen traten näher. Tote Augen. Hände, die nach mir greifen wollten.
» NEIN !«, brüllte ich sie an.
Ich wirbelte zur Wand herum, versuchte, meinen Leib vor ihnen zu verstecken. Ich durfte da nicht rein. Ich durfte nicht zulassen, dass sie mich
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