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Artikel 5

Artikel 5

Titel: Artikel 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristen Simmons
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ich.
    Schweigen.
    Warum tat er das? Warum strafte er mich, nach allem, was er getan hatte? Ich hätte ihn am liebsten erwürgt. Er hatte meine Mutter gesehen, und so wütend ich auch war, fühlte ich mich ihr in seiner Gegenwart doch näher als seit Tagen. Ich wollte ihn fragen, wie sie aussah, ob man ihr etwas getan hatte, ob sie genug zu essen bekam. Aber er hielt sich strikt an Brocks Regeln. Jegliche Hoffnung, er könnte gekommen sein, um mich zu retten, löste sich in Luft auf.
    »Du weißt nicht, ob sie in einem Resozialisierungsprogramm oder so ist, nicht wahr?«, versuchte ich es weiter, während ich mich fragte, ob sie etwas »abzuschließen« hatte, wie Rebecca gesagt hatte.
    »Kannst du nicht einfach still sein?«, blaffte er mich an. »Sofort? Du bist eine Gefangene. Und ich muss nachdenken.«
    Ich blinzelte, und sofort kochte die Wut in mir hoch.
    »Ms Brock hat nicht von absoluter Stille gesprochen.« Ich bemühte mich um einen ruhigen Ton, da ich immer noch hoffte, dass ich mit Nettigkeit ein paar Informationen hervorlocken konnte.
    »Es geht nicht um ihre Vorschriften, sondern um meine.«
    Ich krallte die gefesselten Fäuste in meinen Rock. Wieder sauste ein MM -Fahrzeug vorbei. Ich sah, wie Chase sich anspannte, und ich fühlte die zunehmende Hitze in meinem Gesicht.
    »Muss furchtbar peinlich für dich sein, Reformschulmüll durch die Gegend zu karren«, sagte ich leise, und seinem Zähneknirschen entnahm ich, dass ich ins Schwarze getroffen hatte.
    Über eine Stunde sprachen wir kein Wort. Die Stille wirkte mehr und mehr wie eine physische Präsenz, ein Hammer, der mich schlug und schlug und mir in den Kopf prügelte, dass ich ihm, all meinen Erinnerungen zum Trotz, nichts bedeutete.
    Ein paar neue Ängste prägte er auch. Wie hatte meine Mutter die letzten zwei Wochen verbracht? Und was würde morgen früh passieren? Bilder huschten mir durch den Kopf: meine Mutter, die in Handschellen in den Sitzungssaal gezerrt wurde. Sie hatte Rosas leere Augen, und das Scheinwerferlicht nagelte sie an Ort und Stelle fest. Ihre Hände waren voller Striemen, genau wie meine. Ich schüttelte den Kopf, versuchte, diese Gedanken zu vertreiben, und sah mich zu Chase um.
    Was stimmte nicht mit ihm? Wollte er wirklich so tun, als säße ich nicht gerade eine Armeslänge von ihm entfernt? Als wäre unser beider Geschichte nicht schon seit der Kindheit miteinander verflochten? Er war jetzt Soldat, das hatte ich schon begriffen. Aber er war auch einmal ein Mensch gewesen.
    Zwischen Angst und Zorn zu pendeln war anstrengend, und doch ertappte ich mich immer noch dabei, wie ich ihn beobachtete, als könnte er jeden Moment eingestehen, dass diese ganze Geschichte nur ein krankes, verdrehtes Spiel war.
    Als mir auffiel, dass die Geschwindigkeit abnahm, zeigte die Uhr im Armaturenbrett 8:16 am Morgen an.
    »Sind wir schon in der Nähe von Chicago?«, fragte ich ihn, ohne mit einer Antwort zu rechnen. Es war komisch. Ich war schlecht in Geografie, hatte aber das Gefühl, dass die Fahrt zu kurz gewesen war. Außerdem waren wir vor etwa zwanzig Meilen auf eine Nebenstrecke abgebogen und seither keinen MM -Fahrzeugen mehr begegnet. Ich ging davon aus, dass eher mehr Soldaten hätten auftauchen müssen, hätten wir uns ihrem Stützpunkt genähert.
    Trotzdem gerieten meine Nerven bei dem Gedanken, meine Mutter könnte nahe sein, ein wenig in Aufruhr; ich wusste immer noch nichts über ihren Prozess.
    Der Van verließ den Highway über eine einspurige Ausfahrt und stoppte, ehe er nach rechts auf eine abgeschiedene Straße abbog. Hier hatte das Unkraut bereits die Straßenränder überwuchert und war im winterlichen Frost an Ort und Stelle abgestorben. Tote Zweige lagen auf unserem Weg. Dieser Abschnitt war schon lange nicht mehr von städtischen Arbeitern in Ordnung gebracht worden.
    Während der Van langsamer wurde, schlug mein Herz doppelt so schnell wie vorher.
    »Wir sind doch unterwegs zum Prozess, oder?«
    Er atmete hörbar aus. »Es gibt eine kleine Planänderung.«
    Meine Schultern, die ich über den gefesselten Armen hatte hängen lassen, ruckten zurück. »Was soll das heißen?«
    »Es gibt keinen Prozess.«
    Mir klappte der Mund auf. »Aber die Vorladung …«
    Chase fuhr weiter die schmale, schmutzige Straße hinunter, und der Van holperte über die unzähligen Bodenwellen.
    »Die ist gefälscht.«
    »Du … du hast ein MM -Dokument gefälscht?« Für einen Moment war ich einfach baff, doch dann brachen die Dämme.

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