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Artikel 5

Artikel 5

Titel: Artikel 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristen Simmons
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Wiedersehen zu sagen, allein zurückbliebe.
    Der Brief bebte in meinen zitternden Fäusten. Ich hatte ihn nicht vor dem Regen geschützt. Mir wäre nur lieb gewesen, hätte er die Worte fortgespült, aber wie oft ich ihn auch las, es stand immer dasselbe darin.
    »Chase Jacob Jennings: Gemäß Paragraph eins, Artikel vier der Moralstatuten der Vereinigten Staaten werden Sie mit sofortiger Wirkung zum Dienst für das Federal Bureau of Reformation eingezogen. Dies ist die dritte und letzte Benachrichtigung.«
    Sein Gesichtsausdruck riss mein Herz entzwei.
    »Nur ein Wort, Em. Das ist alles. Sag mir, du willst, dass ich bleibe.«
    Hätte ich das getan, wäre er der Einberufung nie gefolgt. Hätte nie meine Mutter verhaftet. Ich hätte nie Rick und Stan, Brock oder Randolph oder Morris kennengelernt. Oder erfahren, was es heißt, mich jeden Tag nach ihm zu sehnen.
    Es hatte angefangen zu regnen, nur ein Tropfen hier und da, die Ahnung eines bevorstehenden Sturms. In der Ferne hörte ich ein unheilverkündendes Donnern. Während er abgelenkt war, nahm ich den Schokoriegel aus dem Führerhaus – Wegzehrung, nur für alle Fälle.
    Ich hatte etwas Geld, Essen und Kleidung. Mehr konnte ich mir unter den gegebenen Umständen kaum wünschen.
    Ein letztes Mal musterte ich Chase. Sein Haar war schweißnass, vermutlich eine Folge der Schmerzen, die er erdulden musste. Der Anblick rief ein schwindelerregendes Gefühl der Hilflosigkeit in mir wach, ein Gefühl, von dem ich wusste, dass ich ihm jetzt auf keinen Fall nachgeben durfte.
    Er würde zurechtkommen. Er war ein Überlebenskünstler. Und das musste ich von nun an auch sein.
    »Leb wohl!«, sagte ich so leise, dass er es nicht hören konnte, und ich zwang mich, das schmerzhafte Gefühl des Bedauerns zu ignorieren, als ich einen Schritt von dem Truck fort tat.
    »Ich muss zur Toilette.« Meine Stimme brach.
    »Geh«, brummte er, immer noch voll und ganz damit beschäftigt, sich aus dem Hemd zu schälen. »Aber bleib in der Nähe.«
    Ich nickte, wandte mich rasch ab und ging in einer geraden Linie, die mich von der Straße fortführte, durch das Maisfeld.
    Mein Plan war, mich zunächst so weit wie nur möglich von dem Truck zu entfernen. Anschließend wollte ich parallel zum Highway weitergehen. Ich schritt schnell aus und sah mich häufig um, um herauszufinden, ob Chase mir folgte.
    Die hoch aufragenden welken Maispflanzen umgaben mich von allen Seiten, und der Gestank von faulendem Mais lastete auf meinen Sinnen. Als ich den Truck nicht mehr sehen konnte, wandte ich mich nach links, aber die Pflanzenreihen verliefen in diese Richtung nicht so ebenmäßig wie zuvor. Immer wieder musste ich um Pflanzengruppen und Unkraut herumgehen, um voranzukommen, und mein Weg verlief bald nicht mehr geradlinig.
    Ich verlor die Orientierung.
    Die Maispflanzen waren zu hoch, und ich kreuzte immer wieder Pfade, die irgendwelche Fahrzeuge hinterlassen hatten, was mein Orientierungsgefühl noch mehr durcheinanderbrachte. Ich blickte zum Himmel empor, aber der zeigte sich durchgängig zinngrau. Selbst wenn ich gewusst hätte, wie ich anhand des Sonnenstandes meinen Standort bestimmen konnte, hätte ich nun auf verlorenem Posten gestanden.
    Der Regen fiel regelmäßiger, erst noch mild, dann plötzlich mit überraschender Heftigkeit. Er prasselte auf die Blattscheiden trockener Maispflanzen und wurde immer stärker, bis ich kaum mehr meine eigenen Schritte hören konnte, während ich durch das Unkraut stapfte.
    Ich wischte mir das Haar aus dem Gesicht und das Wasser aus den Augen und versuchte, meinen Atem unter Kontrolle zu bringen. Aus Angst, ich könnte einen Hinweis übersehen, der mir den Weg zurück zur Straße zeigen würde, wagte ich nicht einmal, meine Kapuze aufzusetzen. Ich drehte mich im Kreis, aber auch meine eigenen Spuren wurden rasch vom Regen verwischt. Zurück konnte ich nun auch nicht mehr. Um mich herum sah es überall gleich aus.
    Panik kroch mein Rückgrat empor.
    »Reiß dich zusammen«, sagte ich laut. Zugleich war mir jede verrinnende Sekunde nur allzu bewusst. Ich musste es schnell nach Winchester schaffen. Um einen Bus zu erwischen und den Schleuser zu finden. Ich hatte keine Zeit für das hier.
    Ich fühlte geradezu, wie mir meine Mutter entglitt.
    Verschreckt fing ich an zu rennen, wollte den Gefängnismauern aus Mais entkommen, die mich um mehr als einen halben Meter überragten. Ich schlug um mich, um mir den Weg frei zu machen, aber die Pflanzen waren scharfkantig

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