Artikel 5
einen Tee.«
Ich blieb an der Tür, als sie sich hineinschob. Der Hund, der mich bis dahin vollständig ignoriert hatte, schnüffelte lethargisch mit der ergrauten Schnauze an meiner Hand und tapste ebenfalls hinein.
Ich reckte den Kopf vor, schaute von einem Ende des Raums zum anderen – und wurde von einem scharfen Gestank empfangen, der heftig genug war, dass meine Augen zu tränen begannen. Eine Wolke aus Fliegen schwärmte durch den warmen Innenraum, und ihr Summen bereitete mir in Kombination mit dem Klimpern der Windspiele und dem Rauschen des Regens Kopfschmerzen.
In dem Wohnwagen herrschte das pure Chaos. Schmutziges Geschirr stapelte sich in der winzigen Metallspüle und auf der Arbeitsplatte. Taschentücher und Lappen in allen erdenklichen Farben häuften sich auf einem kleinen Tisch, und auf dem Bett hinten rechts war kaum genug Platz freigeräumt, dass eine Person darin schlafen konnte.
Die Frau wühlte in ihrem Geschirr, vermutlich auf der Suche nach einer sauberen Tasse. Schließlich gab sie auf und zuckte mit den Schultern, während ihre Wangen vor Verlegenheit glühten.
»Machen Sie sich keine Gedanken«, sagte ich über all den Lärm zu ihr. »Ich bin gar nicht so durstig. Ich hatte gehofft, Sie könnten mich mit Ihrem Wagen mitnehmen. Ich habe Familie in Harrisonburg«, erklärte ich ihr. Der Gestank war so übel, dass ich einen Schritt zurückweichen musste.
Die Frau schlurfte zu mir herüber und griff nach meiner Hand. Die Berührung war warm und sanft, und doch erschrak ich. Ich war froh, dass sie mein Unbehagen nicht zu spüren schien, schließlich wollte ich nicht unhöflich wirken, während ich zugleich um eine Gefälligkeit bat.
»Du kannst jetzt nicht weg, Kindchen. Nicht bei diesem Wetter. Bitte, komm doch rein.«
»Aber die warten auf mich.« Ich bemühte mich um ein Lächeln. »Die machen sich bestimmt Sorgen.«
Gegen besseres Wissen trat ich einen Schritt weit in den Raum und war mit ganz plötzlich aller vier Wände überaus bewusst. Der Raum war zu klein für uns beide, den Hund und all das Durcheinander. Als ich zu schlucken versuchte, hatte ich das Gefühl, die stickige Luft würde in meinem Hals kleben. Ohne es überhaupt zu merken, zog ich meine Hand zurück.
»Tut mir leid wegen der Unordnung. Es war alles so schwer, seit Dad fort ist.« Ihre Unterlippe zitterte und erzeugte eine wellenförmige Bewegung in dem Hautlappen, der ihr Kinn mit dem Schlüsselbein verband.
Ich konnte mir nicht vorstellen, dass diese Frau mit einem erwachsenen Mann in dieser beengten Behausung gelebt hatte, und ich fragte mich, wo ihr Vater wohl geschlafen hatte. Hoffentlich nicht zusammen mit ihr in dem Bett.
»Das tut mir leid …« Ich brach ab, und meine Augen weiteten sich.
Was sich, als ich noch draußen gestanden hatte, hinter dem Kleiderständer versteckt hatte, war nun in mein Blickfeld geraten. Ein Tierkadaver, knapp einen Meter lang, hing an einem Haken von der Decke. Das war die Quelle des Gestanks. Sein Blut war auf den Boden getropft, wo der Hund es nun gemächlich aufleckte. Das Ding – was immer es einmal gewesen war – war gehäutet worden und hatte sich bläulich weiß verfärbt. Fliegen und Maden bedeckten eine Seite des Kadavers, die bereits vollends verdorben war. Ich kostete den scharfen Geschmack von Erbrochenem auf meiner Zunge und kämpfte darum, es wieder hinunterzuschlucken.
»Sie haben mir das Wasser abgedreht, weißt du? Den Strom auch. Ich bekomme ein paar Vorräte vom alten John, aber, na ja …« Sie schlug eine Hand vor das Gesicht. Mein Unbehagen entging ihr völlig. »Das ist alles nicht mehr wichtig, jetzt, da du hier bist.«
»Ich … äh …« Ich drehte mich zur Tür um und fühlte, wie sich ihre Hand um die meine spannte.
»Mir gefällt, wie du dein Haar trägst«, sagte die Frau und trat näher, und ich wich automatisch zurück.
»Ihnen … gefällt …«, setzte ich an, immer noch viel zu gepeinigt vom Anblick des toten Tiers, das offenbar in ihrem Wohnzimmer hing und darauf wartete, gegessen zu werden. Der Hund leckte immer noch an der Stelle, an der Blut das Linoleum befleckte, das durch den Staub hervorlugte.
»O ja. Ich habe dir doch immer gesagt, kurzes Haar würde dir besser stehen, nicht wahr?«
Von all den Dingen, die die Alarmglocken in meinem Kopf in Schwingung versetzt hatten, ängstigte mich diese Bemerkung am meisten. Es kostete mich all meine Kraft, sie nicht einfach wegzustoßen und zur Tür
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