Artikel 5
seiner Nase hervorsprudelte – auf Chases Rücken. Panik erfasste mich. Ich konnte das Messer nirgends sehen.
Wie rasend suchte ich den Boden ab in der Hoffnung, dass die Waffe nicht bereits in Chases Körper steckte, und fand stattdessen den Schlagstock in der Nähe der Vorderreifen, wo Stan immer noch um Luft rang. Ich packte ihn, bereit, Chase zu Hilfe zu kommen, aber Rick war schneller. Mit wirrem Blick, blutbefleckt und wütend packte er meinen Kragen und zerrte mich so schnell herum, dass ich das Gleichgewicht verlor. Ich wusste, er wollte mich als Schild benutzen, um Chase abzuwehren.
Ich schwang den Schlagstock wie einen Baseballschläger in alle Richtungen. Zweimal, vielleicht auch dreimal traf er auf Widerstand, aber ich wusste nicht, was oder wer dieser Widerstand war. Das kurze Haar flatterte mir um den Kopf und raubte mir die Sicht. Dann, plötzlich, wurde ich zu Boden geworfen.
Ein Geräusch, irgendwo zwischen einem Keuchen und einem Gurgeln, überlagerte das Pochen in meinen Ohren. Ich hob den Kopf und sah mit Schrecken, dass Chase Rick an die Wand des Ladens presste und die Betonmauer dazu benutzte, ihn einhändig zu ersticken.
Um ihn umzubringen.
Ricks gelbe Augen traten aus den Höhlen, und er schlug wie trunken nach Chases zupackender Hand.
»Chase!«, keuchte ich, als wäre rund um mich herum der Sauerstoff aus der Luft entzogen worden, kaum dass mir klar geworden war, was er vorhatte. » CHASE !«
Er nahm meine Stimme wahr, als würde er aus einem Traum erwachen. Erschrocken ließ er Rick fallen, der reglos am Boden liegen blieb.
Voller Grauen starrte ich ihn an. Er atmete. Er lebte noch.
Ein bisschen.
Einen Moment später fühlte ich einen heftigen Zug an meinem Unterarm, als Chase mich beinahe vollständig vom Boden hob. Seine Wange war voller Blut, aber davon abgesehen schien sein Gesicht unversehrt zu sein.
»Truck. Sofort. « Seine Augen waren so schwarz, von der tiefbraunen Iris war nichts mehr zu erkennen.
Ich gehorchte. Auf tauben Beinen lief ich zu der offenen Fahrertür und glitt über den Sitz. Mein Blick verweilte bei den beiden Männern auf dem Asphalt. Chase bewegte sich schnell, sammelte unsere Sachen ein und warf sie in den Wagen. Augenblicke später erwachte der Truck dröhnend zum Leben, und wir flogen mit quietschenden Reifen vom Parkplatz.
Der Truck preschte über den verlassenen Highway, und die Reifen arbeiteten so schwer, dass ich fürchtete, sie könnten abscheren.
Ich keuchte immer noch, und mein Blick klebte am Heckfenster des Führerhauses und suchte nach Anzeichen dafür, dass wir verfolgt wurden. Derweil hatte ich den Schlagstock so wehrhaft in beiden Händen, als hielte ich ein Schwert.
»Alles in Ordnung bei dir?«, fragte Chase. Immer wieder riss er sich kurz vom Anblick des kurvenreichen Highways los, um einen Blick auf mich zu werfen. Sein eigentlich schwarzes Haar sah grau aus, seine Kleidung farblos. Alles war von einer dünnen Lage grauen Staubs überzogen, wie sie auch den Asphalt bedeckt hatte. Zugleich wirkten seine von Besorgnis umschatteten Augen plötzlich vertraut. Sie huschten über meinen Körper, wollten herausfinden, ob ich verletzt war.
Ich begriff das nicht. Noch vor ein paar Augenblicken war er ein Soldat gewesen, ein emotionsloser Automat. Er hatte versucht, diesen Mann zu töten, und er hätte es getan, hätte ich ihn nicht gestört.
Ich versuchte, etwas zu sagen, aber meine Kehle war wie zugeschnürt.
»Dein Arm?«, fragte er. »Und was ist mit deinem Kopf?«
Meine Schultern zuckten ruckartig, und als er nach dem Schlagstock greifen wollte, schreckte ich ohne nachzudenken zurück und wirbelte dabei eine Wolke grauer Asche auf.
Chase atmete scharf aus. »Okay … ich werde dich nicht anrühren.« Ergeben reckte er eine Hand hoch, ehe er wieder das Lenkrad umfasste, und ich sah ein Zucken an seinem Hals.
Nein, ich wollte nicht, dass er mich berührte. Nicht, nachdem diese Hände sich um die Kehle eines anderen Menschen geschlossen hatten.
»Wolltest du ihn umbringen?« Meine Stimme war kaum lauter als ein Atemhauch. Ich kannte die Antwort, aber ich hätte alles dafür gegeben, hätte er das Gegenteil behauptet. Dass ich die Lage falsch eingeschätzt hätte. Dass ich die Dinge unverhältnismäßig aufblähte. Ich wollte so verzweifelt glauben, dass er nicht so kaltblütig war wie Morris und Randolph und die anderen Soldaten.
Er starrte stur auf die Straße und wich größerem Unrat aus, der sich in den Kurven an den
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