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Artikel 5

Artikel 5

Titel: Artikel 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristen Simmons
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fragen, so würde ich behaupten, ein Soldat hätte ihn mir für eine Datenerhebung abgenommen, genau wie Chase es dem Mann von der Highway Patrol vorgeflunkert hatte.
    Meine Mom und ich hatten uns mein ganzes Leben lang allein durchgeschlagen. Ob ich nun gesucht wurde oder nicht, die kurze Reise nach South Carolina würde ich schon schaffen.
    In der Nähe von Winchester bat ich Chase, kurz zu halten, damit ich die Toilette aufsuchen konnte, aber er erklärte mir, ich solle warten. Ich zeigte auf das Blut, das von seinem Arm troff, aber statt sich um die Wunde zu kümmern, wischte er nur mit dem Hemdsärmel die Pfütze weg.
    Wir durchquerten ein landwirtschaftlich genutztes Gebiet. Erst sahen wir ausgedehnte Flächen mit Obstbäumen, alle abgeerntet und gut getarnt von grauem Staub und hohem Gras, das alles zu überwuchern drohte, dann folgten Maisfelder in ähnlichem Zustand. Verlassene Fahrzeuge, rot und schwarz vor Rost und Fäulnis, behinderten uns auf unserem Weg. Die meisten standen abseits der Fahrbahn, aber einige waren auch mitten auf der Straße verreckt. Chase musterte sie argwöhnisch, als wir den Highway hinunterfuhren, offenbar auf der Suche nach Plünderern, die sich in den Schatten versteckten. Die meisten Scheiben der Wagen waren herausgebrochen worden, alle Wertgegenstände verschwunden, aber das bedeutete nicht, dass nicht doch noch Leute herkamen, um auf Schatzsuche zu gehen.
    Über der Gegend lag eine unheimliche Friedhofsruhe. Eine Verlassenheit, die mir eine Gänsehaut über den Körper jagte. Dies war eine der Evakuierungsrouten gewesen, als Baltimore gefallen war oder vielleicht auch DC . Vor Jahren, nach den ersten Angriffen, hatte ich in den Nachrichten einmal eine Luftaufnahme der Strecke gesehen. Das war zu einer Zeit gewesen, als Reporter immer noch Helikopter nutzen konnten, einer Zeit, in der noch nicht alle nichtmilitärischen Luftfahrzeuge vom Himmel verbannt worden waren.
    Die Massenevakuierung. Damals waren die Straßen vollgestopft mit Wagen und verzweifelten Fußgängern, die auf den Pritschen der Rotkreuzstationen am Wegesrand genächtigt hatten, wenn ein Unfall oder ein überhitzter Motor den Verkehr aufgehalten hatte. Ich erinnerte mich an Nachrichten, die von Kämpfen und den Opfern hitzebedingter Erschöpfungszustände berichteten, von Kindern, die auf der Suche nach ihren Eltern hilflos umherwanderten.
    In einigen Städten war mit dem Wiederaufbau begonnen worden, aber dieser Highway war nach acht Jahren vollends in Vergessenheit geraten.
    Chase steuerte vom Asphalt herunter auf holprige Erde und wich einem kaputten Esstisch aus. Die meisten der gelblichen Halme direkt neben der Straße waren von Plünderern niedergetrampelt worden. Weiter hinten aber boten sie mir eine gute Deckung, dicht genug, mich zu verstecken, wenn ich mich davonmachte.
    Chase rammte den Wählhebel in die Parkstellung.
    Meine Unruhe nahm noch mehr zu. Es war beinahe so weit.
    Erst würde er sauer sein; sein widerwilliges Versprechen gegenüber meiner Mutter war mir wohl bewusst. Ich hoffte, er würde nicht allzu lange nach mir suchen. Nach einer Weile würde er wahrscheinlich zu dem Schluss kommen, dass ich mich allein zu dem Schleuser durchschlug, und froh sein, dass ihm die Bürde genommen worden war. Seine militärische Laufbahn war verloren, aber deshalb konnte ich kein schlechtes Gewissen entwickeln. Der alte Chase hatte so oder so nie eingezogen werden wollen. Der alte Chase hatte die MM gehasst.
    Wir stiegen beide auf unserer jeweiligen Seite aus. Ich bewegte mich übertrieben vorsichtig, beobachtete ihn aus dem Augenwinkel, um herauszufinden, ob er mich beobachtete. Er zog mit dem gesunden Arm den Sitz nach vorn und murmelte etwas über einen Erste-Hilfe-Kasten.
    Geh einfach. Warum zögerte ich?
    Weil es deine Schuld ist, dass er so ist , sagte eine leise Stimme in meinem Kopf. Mir war klar, dass das so nicht stimmte, aber das Gefühl, dass ich alles hätte ändern können, blieb.
    Ich konnte ihn immer in meiner Auffahrt sehen, wie er neben seinem Motorrad stand und der Regen aus seinem Haar, von seinem Kinn und seiner völlig durchnässten Kleidung troff.
    Sag mir, ich soll nicht gehen.
    Damals hatten seine Augen vor all den widerstreitenden Gefühlen geglüht, ich aber hatte nur Angst gehabt. Angst, sie würden hinter ihm her sein, würden ihn bestrafen, und ich wäre daran schuld, nur weil ich ihn nicht gehen lassen wollte. Angst, dass meine Mutter, sollte ich nicht die Kraft haben, ihm auf

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