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Artikel 5

Artikel 5

Titel: Artikel 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristen Simmons
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Betonabsperrungen angehäuft hatte.
    »Chase?« Das Schlucken bereitete mir Mühe, und so unmöglich es mir auch erschien, mein Herz schlug sogar noch schneller als zuvor.
    Er antwortete nicht.
    Abrupt wurde mir die Kälte bewusst, die meinen Körper flutete, und ich fing an zu zittern. Der Schlagstock fühlte sich in meiner Hand plötzlich glühend heiß an, und ich ließ ihn zu Boden fallen. Meine Knie krümmten sich dem Brustkorb entgegen. Die Bank schien zu kurz zu sein; wir hingen viel zu dicht aufeinander.
    »K-kannst du langsamer fahren?« Alles ging zu schnell. Und doch musste es schnell gehen, anderenfalls würden uns all die schrecklichen, gefährlichen Dinge einholen. Trotzdem hatte ich das Gefühl, kaum noch mithalten zu können.
    Er schüttelte den Kopf.
    Die Stille, die sich nun über uns senkte, schenkte mir immerhin eine tröstliche Illusion. Sie schuf Distanz. Und mit jeder Meile glitt Chase weiter davon.
    Als wir die Rote Zone hinter uns ließen, war es Chases eigenes Blut, das ihn schließlich zum Halten zwang. Erst als der scharfe Kupfergeruch die stickige Kabine ausfüllte, erinnerte ich mich daran, dass Rick ihm eine Schnittwunde verpasst hatte. Das stete Tröpfeln von Flüssigkeit auf das gesteppte Polster des Sitzes hatte nachgelassen, als das Blut zu gerinnen begann, aber ganz aufgehört hatte es nicht. Für eine Sekunde blickte ich herab, und mein Magen verkrampfte sich vor Sorge, als ich sah, wie blutverschmiert das rissige, beige Leder war.
    Ich hatte die Steinchen aus den Kratzern an meinen Fingerknöcheln herausgepult, aber als sich meine Finger in die neue Jeans krallten, die meine Oberschenkel bedeckte, öffneten sich einige der älteren Wunden, platzten auf unter dem Druck, den ich selbst auf meine Hände ausübte.
    Durch meinen Kopf hallte derweil unentwegt dieselbe Frage: Was war da geschehen?
    Der herumschwenkende Gewehrlauf. Das Funkeln eines sensenförmigen Messers. Daddy wird sich um dich kümmern. Bruchstücke von Minuten, die mich vor Angst erstarren lassen wollten, lebten so klar vor mir auf, als würden sie noch fortdauern. Und dann der Kampf.
    Diesen Teil des Geschehens zu rekapitulieren war so qualvoll, mir war, als würde sich meine Brust nach innen zusammenziehen, und mein ganzer Körper fühlte sich kalt und klamm an. Irgendwann während dieses Kampfes waren die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwommen, waren in ihr Gegenteil verkehrt worden.
    Nein, ermahnte ich mich, nicht in ihr Gegenteil. Chase hatte uns nur schützen wollen. Rick und Stan waren die bösen Jungs.
    Trotzdem konnte ich immer noch Chases abgeklärten, wütenden Blick vor mir sehen, als er Ricks reglosen Leib an die Mauer gedrückt hatte. Wie sehr ich mir auch sagte, er hätte uns nur beschützen wollen, sicher konnte ich dessen nicht sein. In diesem Moment hatte er alles vergessen und war zu einer Maschine geworden.
    Nicht, dass ich Angst gehabt hätte, er könnte mir wehtun; daran glaubte ich nicht. Der alte Chase hätte das nie getan. Aber der Soldat …
    Sollte Chase jemanden töten, so durfte ich kein Teil des Geschehens werden, ganz gleich, wie gefährlich es ohne ihn werden würde, ganz gleich, was uns in der Vergangenheit verbunden hatte. Wie viel von dem früheren Chase auch noch in ihm sein mochte, der größere Teil von ihm, der gefährlichere Teil, lag stets auf der Lauer.
    Als wir Winchester, Virginia passierten – eine kleine Stadt, die immer noch von Zivilisten bewohnt wurde –, hatte ich den Entschluss gefasst, ihn zu verlassen.
    Etwas Ähnliches wie ein Plan schoss mir durch den Kopf. Ich hatte immer noch das Wechselgeld von der Tankstelle in der Pullovertasche. Ich konnte einfach auf dem Highway zurück nach Winchester gehen. Noch war früher Vormittag. Bis zum Mittag konnte ich den Schleuser auch allein erreichen.
    Ich hatte ein recht gutes Gespür für Menschen – ich würde mich einfach an jemanden wenden, der vertrauenswürdig war, und mir bei der Suche nach einer Busstation helfen lassen. Wenn es hier so war wie zu Hause, dann dürften Busse wochentags zur Mittagszeit abfahren. Alles, was ich tun musste, war, mit der Menge zu verschmelzen, genau wie ich es auch in der Schule getan hatte. Nur nicht hervorstechen. Nicht absondern. Immer mittendrin bleiben. Die MM würde nicht auf mich aufmerksam werden, solange ich den Kopf einzog und nirgends zu lange verweilte.
    Ich würde einen falschen Namen nennen, wenn ich die Fahrkarte kaufte, und sollte man mich nach meinem Ausweis

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